Vor siebzig Jahren: Hinrichtung des Journalisten und Spions Richard Sorge (1895–1944)

DDR-Briefmarke [1976] zu Ehren des "Kundschafters des Friedens" Richard SorgeDie Exekution

Am Vor­mit­tag des 7. Novem­ber 1944, dem 27. Jah­res­tag des Sturms auf das Win­ter­pa­lais in Sankt Peters­burg als Beginn der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on in Ruß­land, die nach unse­rem Kalen­der eigent­lich eine „Novem­ber­re­vo­lu­ti­on“ war, und heu­te auf den Tag genau vor sieb­zig Jah­ren, wur­de um 10:20 Uhr im „Ichigaya-Gefängnis“ (Ichi­ga­ya kei­mus­ho 市谷刑務所) in Tôkyô der deut­sche Jour­na­list und sowje­ti­sche Spi­on Richard Sor­ge zum Gal­gen geführt. 16 Minu­ten spä­ter war er tot. Sor­ge war vom so ge­nannten „Vier­ten Büro“ des Mili­tä­ri­schen Nach­rich­ten­diens­tes der Sowjet­union ange­wor­ben wor­den und hat­te zuerst in Chi­na und ab 1933 in Japan einen Spio­na­ge­ring, über des­sen Details ich schon frü­her berich­te­te, auf­ge­baut. Der Ver­lauf der Hin­rich­tung ist der Repro­duk­ti­on eines japa­ni­schen Pro­to­kolls zu ent­neh­men, das als Teil eines Berichts aus dem August des Jah­res 1947 in eng­li­scher Spra­che zur Spio­na­ge­af­fä­re, die mit dem Namen Richard Sor­ges untrenn­bar ver­bun­den ist, im August 2004 zufäl­lig von dem an der Geschich­te sozia­ler Bewe­gun­gen inter­es­sier­ten His­to­ri­ker und Akti­vis­ten Wata­be Tomi­ya 渡部富哉 in einem der Anti­qua­ria­te der japa­ni­schen Haupt­stadt im Stadteil Kan­da ent­deckt wurde.

Zuvor, um 9:33 Uhr, hat­te die Hin­rich­tung durch den Strang eines Mit­strei­ters und Mit­ver­schwo­re­nen Sor­ges, jene von Oza­ki Hot­sumi 尾崎秀実 (1901–1944), eines Jour­na­lis­ten, begon­nen. Bevor des­sen Tod um 9:51 Uhr fest­ge­stellt wur­de, habe die­ser noch zwei­mal Amida-Buddha ange­ru­fen (namu Ami­da butsu 南無阿弥陀仏). Sor­ge sei­ner­seits habe sich unmit­tel­bar vor der Voll­stre­ckung sei­nes Todes­ur­teils noch bei den Anwe­sen­den für Ihre Freund­lich­keit bedankt („Mina-sama go-shinsetsu ari­ga­tô“ 「皆さまご親切有り難う」).

Gerüchte, die Hinrichtung habe nicht stattgefunden

Mit dem umfas­sen­den, für das Ober­kom­man­do der Alli­ier­ten Streit­kräf­te in Japan (GHQ) erstell­ten Bericht wur­de offen­bar das Ziel ver­folgt, weni­ge Jah­re nach Kriegs­en­de intern Gerüch­te zu klä­ren, nach denen die Hin­rich­tun­gen gar nicht statt­ge­fun­den hät­ten, um der Sowjet­uni­on, mit der Japan zum Zeit­punkt der Veur­tei­lung noch in einem Neu­tra­li­täts­pakt ver­bun­den war, kei­nen wei­te­ren Vor­wand für einen gegen Japan gerich­te­ten Kriegs­ein­tritt zu bie­ten. Die­se Gerüch­te hiel­ten sich in gewis­sen Krei­sen noch bis in die 1950er Jah­re, ent­behr­ten aber jeder Grund­la­ge. So spe­ku­lier­te bei­spiels­wei­se noch 1952 der Bot­schaf­ter des Deut­schen Rei­ches in Japan von 1943 bis 1945, Hein­rich Georg Stah­mer (1892–1978), in einer Publi­ka­ti­on zu „Japans Nie­der­la­ge – Asi­ens Sieg. Auf­stieg eines grö­ße­ren Ost­asi­en“ (Bie­le­feld 1952), in der er der Fra­ge nach­zu­ge­hen ver­such­te, ob Japan letzt­lich doch gesiegt habe, über den Ver­bleib Sorges:

Ich hal­te es für sehr wahr­schein­lich, daß Sor­ge lebt und heu­te höchst aktiv im Hin­ter­grun­de oder inner­halb des Krei­ses intel­lek­tu­el­ler Mos­kau­agen­ten wirkt, die so ver­häng­nis­voll die Wider­stands­kraft und Abwehr­be­reit­schaft der Völ­ker gegen den Bol­sche­wis­mus schwä­chen, wie er es sein gan­zes Leben hin­durch getan hat.“ (S. 86)

Die Halt­lo­sig­keit die­ser Spe­ku­la­tio­nen wur­de sehr schnell deut­lich. Unge­ach­tet des diplo­ma­tisch ange­spann­ten Ver­hält­nis­ses zur Sowjet­uni­on und eines für Japan kri­sen­haf­ten Kriegs­ver­laufs hat­te sich die Beson­de­re Höhe­re Poli­zei (Toku­betsu kôtô kei­sa­tsu 特別高等警察, kurz: Tok­kô 特高), als für ideo­lo­gisch moti­vier­te Ver­bre­chen zustän­di­ge Sicher­heits­be­hör­de, im Kon­zert mit der Staats­an­walt­schaft ent­schie­den, Sor­ge und wei­te­re Ange­hö­ri­ge sei­nes Spio­na­ge­rings nicht wegen zwi­schen­staat­li­cher Spio­na­ge, son­dern wegen poli­tisch moti­vier­ter Geheim­dienst­tä­tig­keit zuguns­ten der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le in einem für das poli­ti­sche Sys­tem Japans der Zeit so typi­schen anti­kom­mu­nis­ti­schen Furor mit der vol­len Här­te des „Geset­zes zur Auf­recht­erhal­tung der öffent­li­chen Sicher­heit“ (chi­an iji-hô 治安維持法) zu verfolgen.

Der „dankbare“ Spion?

Per­sön­lich erscheint die „Dank­bar­keit“ Richard Sor­ges für erwie­se­ne „Freund­lich­kei­ten“ – auch und gera­de im Ange­sicht des Gal­gens und der in der Regel nicht zim­per­li­chen Ver­hör­me­tho­den der Beson­de­ren Höhe­ren Poli­zei – über­ra­schend. Gleich­wohl zeig­te sich, der Bericht­erstat­tung in der Mor­gen­aus­ga­be der japa­ni­schen Tages­zei­tung Asahi shin­bun 朝日新聞 vom 17.10.2004 (S. 3) zufol­ge, auch Wata­be Tomi­ya zufrie­den, daß man nun gut ver­ste­he, daß der Tod der bei­den, der auf so viel­fäl­ti­ge Wei­se dar­ge­stellt wor­den sei, letzt­lich doch beherrscht und ruhig gewe­sen sei.

Vor allem japa­ni­sche Print­me­di­en schei­nen ger­ne – nicht zuletzt wohl auch wegen der per­sön­li­chen Note – auf die­se „Dank­bar­keit“ zu ver­wei­sen. Als am 1. Juni 2002 der Poli­zist Ôha­shi Hideo 大橋秀雄, der die Ermitt­lun­gen gegen Sor­ge gelei­tet hat­te, im Alter von 99 Jah­ren ver­starb, erwähn­te die Asahi shin­bun in einem Nach­ruf (Abend­aus­ga­be, 24.06.2002, S.3) natür­lich die Wid­mung Sor­ges für Ôha­shi, mit der er eine Über­set­zung sei­ner Ein­las­sun­gen zu sei­ner Spio­na­ge­tä­tig­keit in Chi­na und Japan ver­se­hen hat­te. Die­se lau­tet vollständig:

For Mr. Ohashi.
In memo­ry of his most pro­found and most kind­ly inves­ti­ga­ti­on of my case during the win­ter 1941/42, I express my deep thank­ful­ness to him as the lea­der of the inves­ti­ga­ti­on. I will never for­get his kind­ness during the most dif­fi­cult time of my eventful live.
Richard Sorge“
(Cri­mi­nal Affairs Bureau, Minis­try of Jus­ti­ce: An authen­ti­ca­ted trans­la­ti­on of „Sorge’s own sto­ry“, Febru­ary 1942 (司法省刑事局:ゾルゲ事件(ニ)、昭和17年2月). Pre­pared and trans­la­ted by the Mili­ta­ry Intel­li­gence Sec­tion, Gene­ral Head­quar­ters Far East Com­mand: Tokyo/Japan, Dec 15, 1947, o.S..)

Die zwei Sichtweisen der Forschung

In einem inter­na­tio­na­len Umfeld scheint die For­schung zur Spio­na­ge­af­fä­re um Richard Sor­ge inzwi­schen weit­ge­hend ruhig zu ver­lau­fen. Mei­nem Ein­druck nach scheint es gegen­wär­tig eher dar­um zu gehen, die ein­zel­nen Mit­glie­der des Sorge-Netzwerkes in Chi­na und Japan zu iden­ti­fi­zie­ren und ihre Bezie­hun­gen unter­ein­an­der zu beleuch­ten. Unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de, mit dem begin­nen­den Kal­ten Krieg, war dies anders. Vor allem der Geheim­dienst­be­auf­trag­te des Ober­kom­man­die­ren der Alli­ier­ten Streit­kräf­te in Japan, Charles Andrew Will­ough­by (1892 in Hei­del­berg gebo­ren, 1910 in die USA aus­ge­wan­dert, 1972 ver­stor­ben), sah die Sorge-Affäre als Zei­chen einer welt­wei­ten kom­mu­nis­ti­schen Ver­schwö­rung, die er wäh­rend sei­ner Tätig­keit im akti­ven Dienst bis 1951, aber auch spä­ter publi­zis­tisch auf­zu­de­cken ver­such­te. In der „McCarthy-Ära“ zwi­schen etwa 1947 und 1956 gegen so genann­te „un-amerikanische Umtrie­be“ mach­te er sich dar­an, auf der Grund­la­ge teils sehr ein­sei­ti­ger und unzu­rei­chen­der, wohl aber offi­zi­el­ler Dar­stel­lun­gen die­ser Spio­na­ge­af­fä­re, die er in sei­nem Buch „Shang­hai Con­spi­ra­cy. The Sor­ge Spy Ring“ (Bos­ton 1952) ver­ar­bei­te­te, auch US-Bürger, z.B. die Schrift­stel­le­rin und Jour­na­lis­tin Agnes Smed­ley (1892–1950), die 1930 kurz­zei­tig mit Richard Sor­ge liiert war, als Ange­hö­ri­ge eines kom­mu­nis­ti­schen Spio­na­ge­rings zu ent­lar­ven und zu verfolgen.

Im Ost­block war Richard Sor­ge bis 1964, dem Jahr, in dem man ihm den Ehren­ti­tel eines „Hel­den der Sowjet­uni­on“ ver­lieh, nahe­zu ver­ges­sen. Im Anschluß erst benann­te man in der DDR Stra­ßen, Schu­len und Erho­lungs­hei­me nach ihm. Sein Leben und sei­ne Tätig­keit in Ost­asi­en wur­de zum Gegen­stand der schu­li­schen Aus­bil­dung. Aus­zeich­nun­gen und Erin­ne­rungs­ga­ben des Minis­te­ri­ums für Staats­si­cher­heit (MfS) tru­gen das Kon­ter­fei die­ses „Kund­schaf­ters des Frie­den“ – so die gän­gi­ge Sprachpraxis.

In der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hin­ge­gen beherrsch­te eine nega­ti­ve Sicht auf Sor­ge, jenen mut­maß­li­chen „Vater­lands­ver­rä­ter“, „Säu­fer“ und „Frau­en­hel­den“, das Bild auf die­se Spio­na­ge­af­fä­re. Eine Artikel-Serie im SPIEGEL aus dem Jahr 1951, in den Aus­ga­ben 24 bis 40, unter dem Titel „Herr Sor­ge saß mit zu Tisch“ präg­te für lan­ge Zeit trotz gewis­ser Halb- und Unwahr­hei­ten das bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche Bild auf Richard Sor­ge und die gesam­te Spio­na­ge­af­fä­re. Vor allem Eugen Ott (1889–1977), Bot­schaf­ter des Deut­schen Reichs in Japan von 1938 bis 1942, fühl­te sich als mit Infor­ma­tio­nen zu frei­gie­bi­ger Mili­tär und Diplo­mat, der leicht­fer­tig Sor­ge ins Ver­trau­en gezo­gen habe und so die­sem Zugang zu höchst­ge­hei­men Infor­ma­tio­nen ermög­lich­te, falsch dar­ge­stellt. Sei­ne Ein­wän­de waren berech­tigt, wie wir heu­te wis­sen. Einen Ein­druck von sei­nen viel­fäl­ti­gen Ver­su­chen, die­sem Bild zu wider­spre­chen und ent­ge­gen­zu­wir­ken, kann man erhal­ten, wenn man sei­nen, beim Mün­che­ner „Insti­tut für Zeit­ge­schich­te“ ver­wahr­ten Nach­laß studiert.

Zur aktuellen Forschung in Japan

加藤哲郎 (2014): ゾルゲ事件. 覆された神話. 平凡社新書Eine umfas­sen­de Beschrei­bung des gegen­wär­ti­gen For­schungs­stan­des in Japan kann an die­ser Stel­le nur bedingt geleis­tet wer­den. Aus den Ver­öf­fent­li­chun­gen in japa­ni­schen Tages­zei­tun­gen der letz­ten 15 Jah­re und einer eher ober­fläch­li­chen Recher­che zu jüngs­ten Publi­ka­tio­nen in japa­ni­scher Spra­che ent­steht der Ein­druck, im Zen­trum der japa­ni­schen For­schung ste­he gegen­wär­tig die Reha­bi­li­tie­rung eines japa­ni­schen Kom­mu­nis­ten namens Itô Rit­su 伊藤律 (1913–1989), der seit 1946 dem Polit­bü­ro der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Japans ange­hör­te und 1955 aus der Par­tei aus­ge­schlos­sen wor­den war. In der August­aus­ga­be 1942 der „Monats­nach­rich­ten der Beson­de­ren Höhe­ren Poli­zei“ (Tok­kô geppô 特高月報) fand sich der Satz, daß Itô im Juli 1940 wäh­rend eines Poli­zei­ver­hörs durch die Preis­ga­be des Namens von Kita­ba­ya­shi Tomo 北林トモ (1886–1945), die 1939 als Mit­glied der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei der Ver­ei­nig­ten Staa­ten in ihr Hei­mat­land zurück­ge­kehrt war, eine Ver­haf­tungs­wel­le ange­sto­ßen hat­te, die über die Fest­nah­me eines wei­te­ren Mit­glieds der KP der USA, den Kunst­ma­ler Miya­gi Yoto­ku 宮城与徳 (1903–1943), der sei­ner­seits tat­säch­lich dem Spio­na­ge­ring Richard Sor­ges ange­hör­te, letzt­lich zur Auf­de­ckung der gesam­ten Affä­re geführt habe.

Als im Febru­ar 1949 ein wei­te­rer, umfang­rei­cher Bericht des Ober­kom­man­dos der Alli­ier­ten Streit­kräf­te zur Sorge-Affäre auch der japa­ni­schen Pres­se zugäng­lich gemacht wur­de, fand sich dar­in eben­so die­se Behaup­tung. Vor dem Hin­ter­grund inner­par­tei­li­cher Aus­ein­an­der­set­zun­gen inner­halb der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Japans ent­stand der Ein­druck, Itô habe sei­ne See­le als Spi­on an die Beson­de­re Höhe­re Poli­zei und spä­ter an das GHQ ver­kauft. Auf­grund einer immer rigi­der wer­den­den Kon­trol­le kom­mu­nis­ti­scher Agi­ta­ti­on in Japan ent­schloss sich Itô, nach Chi­na zu gehen, wo er 1953 zunächst unter Haus­ar­rest und dann 27 Jah­re lang in Gefäng­nis­sen und Arbeits­la­gern inter­niert wur­de. Erst 1980 wur­de es ihm erlaubt, in sein Hei­mat­land, in dem er auf­grund der genann­ten Berich­te als Ver­rä­ter galt, gesund­heit­lich bereits stark ange­schla­gen, zurück­zu­keh­ren. Bis zu sei­nem Tod bemüh­te er sich ver­geb­lich um sei­ne Reha­bi­li­tie­rung. Erst 2007 gelang es dem Politik- und Medi­en­wis­sen­schaft­ler Katô Tets­urô 加藤哲郎 durch jüngst deklas­si­fi­zier­te Doku­men­te in US-amerikanischen Archi­ven nach­zu­wei­sen, daß die völ­lig unbe­grün­de­te Beto­nung der Schuld Itôs zugleich Teil der kon­spi­ra­ti­ven Arbeit einer gehei­men Ein­heit inner­halb des GHQ war, die unter dem Namen „Z‑Unit“ (auch „Canon-Unit“ nach ihrem Lei­ter), direkt Charles Andrew Will­ough­by unter­stellt, mit allen Mit­teln den japa­ni­schen Kom­mu­nis­mus zu bekämp­fen hat­te. Anläß­lich des 70. Jah­res­ta­ges der Hin­rich­tung Sor­ges hat Katô in einer Taschen­buch­pu­bli­ka­ti­on im Früh­jahr 2014 sei­ne For­schungs­er­geb­nis­se erneut zusam­men­ge­stellt. Inzwi­schen wird die so genann­te „Itô-Spion-These“ (Itô supai setsu 伊藤スパイ説) weit­ge­hend als nicht mehr halt­bar anerkannt.

Im Jahr 1994 hat­te der ein­gangs die­ses Arti­kels bereits erwähn­te Akti­vist Wata­be Tomi­ya einen „Ver­ein, der die Reha­bi­li­tie­rung Itô Rit­sus for­dert“ (Itô Rit­su no mei­yo kai­fu­ku o motome­ru kai 伊藤律の名誉回復を求める会) gegrün­det. Einen gro­ßen Erfolg erreich­te die­ser Ver­ein, als er 2013 anläß­lich der geplan­ten Neu­auf­la­ge des erst­mals 1960 erschie­nen Auf­satz­ban­des „Japans schwar­zer Nebel“ (Nihon no kur­oi kiri 日本の黒い霧) des Essay­is­ten und Kri­mi­nal­schrift­stel­lers Mat­su­mo­to Seichô 松本清張 (1909–1992) durch den Ver­lag Bun­gei shun­jû 文芸春秋 erreich­te, daß die­sem Auf­satz­band ein Hin­weis auf die Nicht­halt­bar­keit der The­se, Itô sei ein Spi­on der Poli­zei und der Besat­zungs­be­hör­den gewe­sen, bei­gefügt wer­den sol­le. Hin­ter­grund ist, daß der höchst USA-kritische Mat­su­mo­to in einem der Auf­sät­ze die­ser Antho­lo­gie unter dem Titel „Der Mann, der die Revo­lu­ti­on ver­rät: Itô Rit­su“ (Kaku­mei o uru oto­ko – Itô Rit­su 革命を売る男・伊藤律) eben die­se The­se offen­siv vertritt.

Richard Sorge im Film

Zeitgenössische FilmhefteSpio­na­ge­af­fä­ren bie­ten stets einen belieb­ten Stoff nicht nur für Doku­men­tar­fil­me, son­dern eben­so für eine roman­haf­te oder fil­mi­sche Vear­bei­tung. Dies gilt alle­mal für die Per­son Richard Sor­ges und sei­nen Spio­na­ge­ring. Zu nen­nen ist hier zwei­fels­oh­ne exem­pla­risch der halb-dokumentarische Roman Hans Hell­mut Kirsts „Die letz­te Kar­te spielt der Tod“ (1955). Eben­falls 1955 fühl­te sich aus­ge­rech­net Veit Har­lan (1899–1964) beru­fen, als Regis­seur und auf der Grund­la­ge eines von ihm mit sei­nem Sohn Tho­mas Har­lan (1929–2010) erstell­ten Dreh­buchs unter dem Titel „Ver­rat an Deutsch­land. Der Fall Dr. Sor­ge“ die Sor­ge­af­fä­re zu ver­ar­bei­ten. Neben dem Schwei­zer Schau­spie­ler Paul Mull­er (geb. 1923) als Richard Sor­ge gab die, häu­fig dra­ma­ti­sche Rol­len spie­lend, vom Publi­kum mit dem nur sehr bedingt schmei­chel­haf­ten Spitz­na­men „Reichs­was­ser­lei­che“ ver­se­he­ne Kris­ti­na Söder­baum (1912–2001), Ehe­frau des Regis­seurs, dar­in eine fik­ti­ve Gelieb­te Sor­ges (und Mit­ar­bei­te­rin der Deut­schen Bot­schaft), die dem Spi­on im Gefäng­nis durch einen „Todes­kuß“ eine Gift­kap­sel von Mund zu Mund wei­ter­gab, mit der ihm der Frei­tod ermög­licht wur­de. Die Frei­wil­li­ge Selbst­kon­trol­le der Film­wirt­schaft (FSK) war zunächst nicht bereit, den Film auf­grund ver­mu­te­ter, ange­sichts der Bio­gra­phie des Regis­seurs durch­aus über­ra­schen­der „pro­so­wje­ti­scher Ten­den­zen“ (vgl. Der Spie­gel, Aus­ga­be 6/1955 vom 02.02.1955, S. 34) frei­zu­ge­ben. Erst eine leich­te Ver­än­de­rung führ­te zu einer Zulas­sung der Pro­duk­ti­on für die bun­des­deut­schen Filmtheater.

In Japan erschien zudem 1957 ein Spiel­film mit dem Titel (in ver­gleich­wei­se frei­er Über­set­zung) „Lie­be hat ihren Ort in der Fer­ne fal­len­der Ster­ne“ (Ai wa furu hoshi no kanata ni 愛は降る星のかなたに), in des­sen Mit­tel­punkt, ganz auf den japa­ni­schen Markt zuge­schnit­ten, die Per­son Oza­ki Hot­su­mis stand.

1960 wur­de unter dem Titel „Wer sind Sie Dr. Sor­ge?“ („Qui êtes-vous, Mon­sieur Sor­ge?“) mit Tho­mas Holtz­mann (1927–2013) als Richard Sor­ge und Mario Adorf (geb. 1930) als Max Christiansen-Clausen (1899–1979), Sor­ges Fun­ker, eine wei­te­re Ver­si­on der Geschich­te unter der Regie von Yves Ciam­pi (1921–1982) ver­öf­fent­licht. Allei­ne der gera­de­zu visio­när zu nen­nen­de Titel „Spio­ne ster­ben nicht im Bett“, der für die­sen Film auch ver­wen­det wur­de, scheint bereits die wenig gelun­ge­ne Dar­stel­lung anzu­kün­di­gen. Die Kri­tik jeden­falls zeig­te sich mehr­heit­lich unzufrieden.

Auch eine Film­pro­duk­ti­on der DEFA ist die­ser Lis­te hin­zu­zu­fü­gen. Unter der Regie von Bern­hard Ste­phan ver­film­te man 1982 die Lebens­ge­schich­te von Ruth Wer­ner (1907–2000) unter dem Titel, den auch ihre Auto­bio­gra­phie trägt: „Son­jas Rap­port“. Ruth Wer­ner, die Schwes­ter des Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lers Jür­gen Kuc­zyn­ski, wur­de in Shang­hai von Richard Sor­ge als Spio­nin ange­wor­ben und arbei­tet dann fort­ge­setzt unter dem Deck­na­men „Son­ja“ für den sowje­ti­schen Mili­tär­nach­rich­ten­dienst GRU.

Cover des Filmes "Spy Sorge"/「スパイ・ゾルゲ」 (2003)Im Jahr 2003 wur­de dann, als bis­her letz­tes gro­ßes inter­na­tio­na­les Film­pro­jekt zu den Ereig­nis­sen um Richard Sor­ge, der Film „Spy Sor­ge“ (スパイ・ゾルゲ, deut­scher Titel: Richard Sor­ge. Spi­on aus Lei­den­schaft) unter der Regie von Shi­no­da Masa­hi­ro 篠田正浩, als des­sen letz­tem gro­ßen Film, mit dem schot­ti­schen Schau­spie­ler Iain Glen (geb. 1961) als Sor­ge und Ulrich Mühe (1953–2007) als Bot­schaf­ter Eugen Ott ver­öf­fent­licht. Wirt­schaft­lich war der Film nicht erfolg­reich und schien eben­so in der künst­le­ri­schen Gestal­tung zu enttäuschen.

Die­sen Fil­men, jedem zu sei­ner Zeit, war aber gemein, daß sie medi­al zu einer Popu­la­ri­sie­rung des The­mas bei­tru­gen und den Spio­na­ge­fall Richard Sor­ge erst einem grö­ße­ren Publi­kum – jen­seits des aka­de­mi­schen Elfen­bein­turms – über­haupt bekannt machten.

Was bleibt?

Was wird zukünf­tig von der Spio­na­ge­af­fä­re um Richard Sor­ge, deren eigent­li­cher Ver­lauf – unge­ach­tet ihrer viel­schich­ti­gen Wir­kungs­ge­schich­te im Kal­ten Krieg – mit sei­ner Hin­rich­tung am 7. Novem­ber 1944 einen vor­läu­fi­gen End­punkt erreich­te, blei­ben? In der Bun­des­re­pu­blik ver­mut­lich nicht viel mehr als die „Richard-Sorge-Straße“ in Berlin-Friedrichshain. Viel­leicht wird irgend­wann auch ein­fach ver­ges­sen sein, war­um die­se Stra­ße so heißt, wie sie heißt. In der japa­ni­schen For­schung und Öffent­lich­keit hin­ge­gen dürf­ten die Akti­vi­tä­ten, nicht zuletzt in dem Bemü­hen, Zuschrei­bun­gen durch mut­maß­lich oder tat­säch­lich his­to­risch fal­sche Inter­pre­ta­tio­nen der Ereig­nis­se zu kor­ri­gie­ren und ggfs. eine Reha­bi­li­tie­rung der Betrof­fe­nen umzu­set­zen, noch etwas anhal­ten. In die­sen Fäl­len hat die japa­ni­sche Wis­sen­schafts­welt und Zivil­ge­sell­schaft bekannt­lich einen gele­gent­lich über­ra­schend lan­gen Atem.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.