Ausstellung: Der Russisch-Japanische Krieg (日露戦争, 1904/05):
Noch ganz unter dem Eindruck des Boxer-Aufstandes (giwadan no ran 義和団の乱) von 1900 und seiner Niederschlagung durch multinationale, alliierte Interventionstruppen stehend, zog der durch einen unangekündigten Torpedoangriff Japans auf die vor Port Arthur (jap.: Ryojun, chines.: Lüshun 旅順) liegende russische Pazifikflotte am Abend des 8. Februar 1904 von Japan verursachte Russisch-Japanische Krieg (Nichiro sensô 日露戦争) die Aufmerksamkeit einer weltweiten Öffentlichkeit auf sich. Die Kriegserklärung der japanischen Seite wurde erst am 10.02.1904 übergeben.
Bereits im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zeichneten sich deutlich russische und japanische Interessenunterschiede auf dem asiatischen Festland ab, wobei Japan aufgrund seiner erst beginnenden Modernisierungsbemühungen aller staatlichen Institutionen nach der sogenannten Meiji-Restauration (Meiji ishin 明治維新, 1868) zunächst noch außerordentlich zurückhaltend vorging. 1876 hatte man im „Vertrag von Kangwha“ dem König- und späteren Kaiserreich Korea in einem sogenannten „Ungleichen Vertrag“ eine bedingte Öffnung des Landes aufgezwungen. 1894/95 führte man mit China den Japanisch-Chinesischen Krieg (Nisshin sensô 日清戦争) um eben dieses Korea. Im Friedensvertrag von Shimonoseki (Nisshin kôwa jôyaku 日清講和条約, auch: Shimonoseki jôyaku 下関条約) 1895 wurde von beiden Kriegsparteien als vermutlich wichtigster Gegenstand des Vertrages die koreanische Souveränität anerkannt. Erst dieses erfolgreiche Herauslösen Koreas aus dem System einer chinesischen Suzeränität mit der mit ihr verbundenen tributären Verpflichtung des koreanischen Königs gegenüber dem chinesischen Kaiserreich ermöglichte es Japan, am langfristigen Ziel einer „Annexion“ Koreas (Kankoku heigô 韓国併合) festzuhalten, das schließlich 1910 erreicht wurde. Die im Friedensvertrag von Shimonoseki vereinbarten Territorialgewinne der japanischen Seite wurden jedoch durch das Eingreifen Rußlands, Deutschlands und Frankreichs in der sogenannten „Drei-Mächte-Intervention“ (auch: Tripelintervention, jap.: sankoku kanshô 三国干渉) partiell in Frage gestellt. Da Japan zu diesem Zeitpunkt noch nicht über eine ausreichende militärische Stärke zur Verteidigung der eigenen Interessen im ostasiatischen Raum zu verfügen glaubte, beugte man sich den Bedingungen der Großmächte, allerdings nicht ohne deren Vorgehen dauerhaft als Schmach zu empfinden.
Rußland seinerseits eignete sich 1898 das Territorium an, das Japan unfreiwillig an China zurückgeben mußte. Man pachtete für 25 Jahre die Städte Port Arthur und Dalian (jap.: Dairen 大連). Rußland trieb massiv den Eisenbahnbau in der Mandschurei, vor allem mit der sogenannten Südmandschurischen Eisenbahn, voran, mit der man die Städte Harbin (jap.: Harubin ハルビン/哈爾浜) und Port Arthur verband. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen, die diese Verbesserung der Infrastruktur für Rußland mit sich brachte, konnte sie ebenso zum schnellen Truppentransport dienen. Mit dem verstärkten russischen Vordringen in die Mandschurei und nach Korea erwuchs Japan ein Gegner, den es längerfristig auszuschalten galt, wollte es sich seine Einflußsphäre auf dem asiatischen Kontinent sichern.
Mit dem sogenannten „Nishi-Rosen-Abkommen“ (Nishi-Rôzen kyôtei 西・ローゼン協定), das vom japanischen Außenminister Nishi Tokujirô 西徳二郎 (1847–1912) und dem russischen Gesandten in Tôkyô, Roman Romanovič Rosen (1847–1922), im April 1898 verhandelt wurde, erreichte man eine gegenseitige Anerkennung der vollständigen Souveränität und Integrität des koreanischen Staatswesens und die Achtung des Prinzips der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Koreas. Es bedeutete letztlich für einen sehr begrenzten Zeitraum die japanische Anerkennung russischer Interessen in der Mandschurei und die russische Anerkennung der besonderen Stellung Japans in Korea.
Erst die machtvolle Stärkung des internationalen Renommees Japans durch die „Japanisch-Britische Allianz“ (Nichiei dômei 日英同盟) 1902, mit der man sich gegenseitig einer strikten Neutralität – in Ausnahmefällen auch gegenseitiger Waffenhilfe – für den Fall versicherte, daß sich einer der beiden Staaten zur Wahrung seiner Interessen in Ostasien gezwungen sähe, einen Krieg zu führen, ermöglichte es dem japanischen Kaiserreich, einen militärischen Schlag gegen Rußland zu erwägen. Durch dieses Abkommen schien Rußland in Ostasien isoliert, auch wenn sich die bedeutenden europäischen Großmächte Ende des 19. Jahrhunderts bereits in China festgesetzt hatten. Es schien allerdings fraglich, ob sie zur Sicherung der russischen Interessen einen Waffengang gegen Japan und seinen Verbündeten Großbritannien riskieren wollten. Diese Pattsituation nutzte Japan am 8. Februar 1904, nachdem man bereits am 6. Februar die diplomatischen Beziehungen zu Rußland abgebrochen hatte.
Die Geschichte der Kriegshandlungen – vom Torpedoangriff auf Port Arthur im Februar 1904, über die Schlacht am Yalu (Ôryokkô kaisen 鴨緑江会戦), dem koreanisch-mandschurischen Grenzfluß, die Schlacht von Dairen (Dairen no tatakai 大連の戦い), die Schlacht von Mukden (Hôten no kaisen 奉天の会戦) bis zur Seeschlacht in der Japansee bei Tsushima (Nihonkai kaisen 日本海海戦) – stellt sich als eine einzige Reihe von russischen Niederlagen dar. Auf japanischer Seite kostete der Krieg insgesamt ca. 81.400 Opfer, wobei etwa 60.000 durch Kriegshandlungen starben.
Beide Kriegsparteien wurden durch die Kriegshandlungen bis an die Grenzen der Belastbarkeit geführt. In Japan hatte man sich einerseits mit hohen Erwartungen der Bevölkerungsmehrheit auseinanderzusetzen, bei denen sich schon sehr schnell abzeichnete, daß sie enttäuscht werden würden. Andererseits brachten die Kriegskosten den Staat in seiner Gesamtheit an den Rand des Staatsbankrotts. In Rußlands Innenpolitik herrschte eine explosive, nahezu revolutionäre Spannung. Nachdem bereits die Anhänger der Narodnaja volja („Wille des Volkes“) am Ende des 19. Jahrhunderts traurige Berühmtheit durch verschiedene Attentate, von denen vielleicht jenes auf Zar Alexander II. 1881 das bedeutungsvollste war, erlangt hatten, nahm ab 1902 eine Gruppe der Sozialrevolutionäre die Idee des Terrors wieder auf. Zu ihren Opfern gehörte der Kriegsbefürworter und russische Innenminister Vjačeslav Konstantinovič Plehve (1846–1904), der am 28.07.1904 einer Bombe zum Opfer fiel, ebenso wie der Onkel des Zaren und Generalgouverneur von Moskau, Großfürst Sergej Aleksandrovič (1857–1905), den das gleiche Schicksal im Februar 1905 ereilte. Die politischen und sozialen Gegensätze jener „Monarchie absolue, modérée par la régicide“ gipfelten inmitten des Krieges im „Blutsonntag“. Eine große Anzahl militärischer Mißerfolge auf dem ostasiatischen Kriegsschauplatz in Kombination mit großen inneren Unruhen, Streiks und Demonstrationen, die unter der Bezeichnung der „1. Russischen Revolution“ zusammengefaßt werden, veranlaßten den Zaren zur Verabschiedung des kurzlebigen „Oktobermanifestes“ mit dem Versprechen der Einrichtung einer Volksvertretung, der Duma. Verfaßt wurde dieses Dokument von Sergej Vitte (1849–1915), der sein Land auch zuvor bei den Friedensverhandlungen von Portsmouth als Chefunterhändler vertreten hatte. Anders als Plehve, der einen begrenzten Krieg mit Japan offenbar auch als nützliches Ventil verstand, die sozialen Spannungen im Inneren Rußlands mildern zu können, vertrat Vitte den Politikansatz einer „pénétration pacifique“ Ostasiens, einer wirtschaftlichen Durchdringung der Mandschurei und Koreas zur Stärkung des russischen Einflusses in dieser Region.
Die Vereinigten Staaten von Amerika unter ihrem Präsidenten Theodore Roosevelt (1858–1919) ihrerseits bemühten sich unmittelbar nach Kriegsausbruch einen Frieden zu vermitteln. Es galt, die von Außenstaatssekretär John Milton Hay (1838–1905) in einer diplomatischen Note 1899 an die Monarchen Deutschlands, Rußlands, Großbritanniens und Japans formulierte „Open Door Policy“ in China zu verteidigen, die der – von Japan und Rußland gleichermaßen beabsichtigten – Schaffung statischer Einflußsphären einzelner Mächte diametral entgegenstand. Erreicht werden sollte, daß jede Macht in jedem Teil Chinas freie Hand hatte, gleichberechtigt mit anderen Mächten den eigenen Vorteil zu suchen. Erst die beschriebenen politischen und wirtschaftlichen Krisen der kriegführenden Parteien, aber auch die Einsicht Kaiser Wilhelms II., daß der Krieg für Rußland nicht mehr zu gewinnen war, führte ab Sommer 1905 zu einem diplomatischen Ringen um Frieden unter Führung der USA. Auch wenn Theodore Roosevelt 1906 für seine letztlich erfolgreichen Vermittlungsbemühungen den Friedensnobelpreis erhielt, war die Motivation zum US-amerikanischen Eingreifen keineswegs uneigennützig. Es galt auch zugleich, Interessen der USA in Ostasien nach der gewaltsamen Niederwerfung der philippinischen Unabhängigkeitsbewegung zu wahren.
Der Friedensvertrag von Portsmouth, der schließlich am 5. September 1905 unterzeichnet wurde, beendete zwischen Japan und Rußland die Kriegshandlungen, wenn auch die japanische Seite weitgehend auf hohe Reparationszahlungen Rußlands verzichtete. Japan erhielt den russischen Teil Sachalins südlich des 50. Breitengrades. Rußland erkannte Japan als die Korea dominierende Macht an und trat die Liaodong-Halbinsel (inklusive Port Arthurs, Dairens und der russischen Rechte an der Südmandschurischen Eisenbahn) an Japan ab, auch wenn man ansonsten übereinkam, sich beiderseitig aus der Mandschurei zurückzuziehen und China die Souveränität über diesen Landstrich zurückzuerstatten. In dem anschließend direkt zwischen der chinesischen Regierung und Japan geschlossenen Vertrag von Peking gelang es Japan, seine Interessenssphäre in der Mandschurei auf andere Weise zu sichern. Der Weg zu einer vollständigen Annexion Koreas war frei, Rußland orientierte sich in seiner Außenpolitik eher in Richtung der slawischen Staatenfamilie und gab seine ostasiatischen Ambitionen weitgehend auf.
(2005)
Ergänzung: Neben dieser Ausstellung im Foyer des Instituts für Japanologie an der Universität Heidelberg setzte ich damals ein Kolloquium unter dem Titel „Der Russsisch-Japanische Krieg (1904/05) – Anbruch einer neuen Zeit?“ um, aus der eine gleichnamige Publikation hervorging.