Ausstellung: Richard Sorge – Journalist und Spion (1895–1944):
„Wünschest du, daß Feinde dein Geheimnis nicht erfahren, so sage es auch deinem Freunde nicht.“
aus „Nushirewans letzte Lehren“, Buch des Kabus, persischer Fürstenspiegel.
Zur Einleitung:
Die Charakterisierungen, die in zahllosen Publikationen – je nach dem politischen Standpunkt des Verfassers – für Richard Sorge als dem Kopf eines Spionagerings für die Sowjetunion in China und Japan zwischen 1930 und 1941 gefunden wurden, sind vielfältig. Sie reichen vom „Frauenheld, Trinker und Charmeur“, „Doppelspion für die deutsche Abwehr und den sowjetischen NKWD bzw. GPU“ bis hin zum „Vaterlandsverräter“ oder „Kundschafter des Friedens“. Im November 2004 jährte sich der Tag seiner Hinrichtung zum 60. Mal.
Richard Sorge wurde 1895 als Sohn eines deutschen Ingenieurs und einer Russin in Adshikend in der Nähe von Baku auf der Krim geboren. 1898 kehrte die Familie nach Deutschland zurück und nahm ihren Wohnsitz in Berlin. 1914 meldete sich der junge Sorge unmittelbar vor dem Abitur zum Kriegsdienst. Nach einer schweren Verwundung als Angehöriger eines Studentenbataillons an der Westfront wurde er zum Unteroffizier befördert, erhielt für „Tapferkeit vor dem Feind“ das Eiserne Kreuz 2. Klasse und wurde aus dem Militärdienst entlassen. Offenbar unter dem Eindruck des Krieges beschäftigte er sich mit sozialistischen und kommunistischen Klassikern in deutscher und russischer Sprache und trat, inzwischen Student an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin (später Hamburg und Kiel), verschiedenen sozialistischen Studentenorganisationen, der linkssozialistischen USPD und später auch der KPD bei. Mit einer politikwissenschaftlichen Arbeit über „Die Reichstarife des Zentralverbands deutscher Konsumvereine“ wurde er an der Universität Hamburg promoviert.
Nach Einsätzen als Agitator der KPD und als Journalist für vorwiegend kommunistische Zeitungen im Ruhrgebiet und in Frankfurt (Main) entstanden erste Kontakte zu sowjetischen Kommunisten, die ihn 1924 nach Moskau führten. Inzwischen Mitglied der KPdSU, arbeitete er vermutlich dort zunächst für die Organisationsabteilung der Kommunistischen Internationale, dem sogenannten ORG-Büro, das die vorwiegend illegale kommunistische Arbeit im Ausland koordinierte. Der Zeitpunkt seiner Anwerbung für das sogenannte „Vierte Büro“ des Militärischen Nachrichtendienstes der Sowjetunion ist unklar. Hauptaufgabe dieser Abteilung war der Aufbau eines Spionagenetzes im Ausland und die Informationssammlung außerhalb der sowjetischen Staatsgrenze. Sorges Einsatzgebiet sollte zunächst China werden.
Zur besseren Tarnung sollte Sorge mit einem echten deutschen Paß als Journalist nach China einreisen. Zu diesem Zweck schloß er mit der „Getreide-Zeitung“, einem landwirtschaftlichen Fachblatt, und einem Verlag für soziologische Schriften Mitarbeiterverträge in Berlin. Mit dem Beginn seines China-Aufenthaltes 1930 bestanden seine Aufgaben in der Analyse der politischen und militärischen Strukturen der nationalistischen Nanking-Regierung, der Guomindang, unter Jiang Jieshi 蒋介石 (=Chiang Kai-shek, 1887–1975), ihres Verhältnisses zu den chinesischen Kommunisten und anderen Oppositionsbewegungen, der Chinapolitik der USA und Großbritanniens aber auch der Sammlung allgemeiner Informationen zum Entwicklungsstand der chinesischen Industrie und Landwirtschaft. Er begann mit dem Aufbau eines flächendeckenden Spionageringes mit Stützpunkten in Shanghai, Harbin und Kanton und konnte seinen sowjetischen Auftraggebern für sie wichtige Informationen, auch über das Voranschreiten der japanischen Expansion auf dem chinesischen Festland, verschaffen. In Shanghai lernte er auch Ozaki Hotsumi 尾崎秀実 (1901–1944), China-Korrespondent der japanischen Tageszeitung Asahi shinbun (朝日新聞), kennen, mit dem er auch später in Japan seiner Spionagetätigkeit gemeinsam nachging. 1932 verließ Sorge China. Der Spionagering bestand fort.
Im September 1933 erreichte er Tôkyô und begann mit dem Aufbau eines Spionageringes unter Beteiligung Ozaki Hotsumis, des Funkers der Gruppe Max Clausen (1899–1979), dessen Frau Anna (1899–1978), des jugoslawischen Journalisten Branko Vukelic (1904–45), des Kunstmalers Miyagi Yotoku 宮城与徳 (1903–43) sowie anderer japanischer Mitarbeiter. Trotz eines engen „Freundschaftsverhältnisses“ zu Eugen Ott, ab 1934 Militärattaché, von 1938–42 deutscher Botschafter, scheint der Vorwurf, dieser habe es Sorge ermöglicht, direkt Quellen innerhalb der Botschaft des Deutschen Reiches in Japan abzuschöpfen, nicht haltbar zu sein. Durch seine Tätigkeit als Auslandskorrespondent der „Frankfurter Zeitung“ und durch Vermittlung Ozakis wurde vielmehr eine Reihe führender Persönlichkeiten des Landes zu unwissentlichen Informanten der sogenannten Gruppe „Ramsey“: so etwa der Enkel des „letzten genrô“ Saionji Kinmochi 西園寺公望 und enge Mitarbeiter des japanischen Außenministers Matsuoka Yôsuke 松岡洋右, Saionji Kinkazu 西園寺公一(1906–1993), sowie der Sohn des 1932 ermordeten Ministerpräsidenten Inukai Tsuyoshi 犬養毅, Inukai Takeru 犬養健 (1896–1960).
Im wesentlichen waren es zwei Nachrichten, die für die Sowjetunion neben zahlreichen weiteren Berichten Sorges und seiner Mitstreiter eine besondere Bedeutung gehabt zu haben scheinen:
- (Funksprüche Mai/Juni 1941): Deutschland werde die Sowjetunion angreifen; Diese Nachricht scheint offenbar in der Sowjetunion nicht beachtet worden zu sein.
- (Funksprüche September 1941): Japan werde die Sowjetunion nicht angreifen, sondern verfolge die Absicht eines weiteren Vordringens in den pazifischen Raum (gegen die USA und Großbritannien); Nachdem der deutsche Angriff auf die Sowjetunion erfolgt war und man einen japanischen Vorstoß Richtung Sibirien erwartet hatte, erlaubte diese Meldung nun dem sowjetischen Oberkommando, Truppen in Asien abzuziehen und auf dem europäischen Kampfplatz einzusetzen.
Nach einer Verhaftungswelle, die weite Kreise zog, wurde der Spionagering im September 1941 enttarnt und seine Angehörigen verhaftet. Richard Sorge und Ozaki Hotsumi wurden zum Tode verurteilt; andere Mitglieder erhielten zum Teil empfindliche Freiheitsstrafen. Die Todesurteile wurden am 7. November 1944 durch den Galgen vollstreckt.
(2004)
Ergänzung: Anläßlich des 70. Jahrestages der Hinrichtung Richard Sorges am 7. November 2014 berichtete ich in meinem Blog über weitere Zusammenhänge dieses Ereignisses und jüngere Entwicklungen.