Nicht wie bisher üblich am 12. Dezember, dem „Tag des chinesischen Schriftzeichens“, sondern etwas verspätet wurde heute das japanische „Schriftzeichen des Jahres“ (kotoshi no kanji 今年の漢字) 2015 bekannt gegeben. Wie schon in den Vorjahren hatte die „Japanische Gesellschaft zur Überprüfung der kanji–Fähigkeit“ (Nihon kanji nôryoku kentei kyôkai 日本漢字能力検定協会) landesweit Vorschläge für ein chinesisches Schriftzeichen eingeworben, das die vielschichtigen Entwicklungen Japans im Jahr 2015 repräsentiere. Von insgesamt abgegebenen 129.647 fiel mit 5.632 Stimmen (= 4,3 %) die Wahl auf das Schriftzeichen 安 mit den Lesungen an / yasu[-i] - yasun[-jiru] – izu[-kunzo] sowie seinen Bedeutungen „sicher“, „friedlich“, „bequem“ und „billig“. Wie schon seine Vorgänger der Jahre 2013 und 2014 und wie das „Schriftzeichen der Zukunft“ (mirai no kanji 未来の漢字) wurde das diesjährige chinesische Siegerzeichen auch in einer kalligraphischen Zeremonie im Kiyomizu-dera (清水寺) vom Vorstand dieses buddhistischen Tempels Mori Seihan 森清範 der Öffentlichkeit vorgestellt. Weiterlesen
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Einleitung
Dokumentationen und Spielfilme, denen eine wahre historische Begebenheit zugrunde liegt, erfreuen sich nicht nur in den Vereinigten Staaten und Europa, sondern ebenso auch in Japan großer Beliebtheit. Zumindest gilt dies für Filme, die sich nicht allzu kritisch mit der jüngeren japanischen Vergangenheit befassen. Seit Mitte Januar ist in deutschen Kinos nun ein US-amerikanischer Spielfilm zu sehen, dessen Erscheinen in Japan bisher eher ungewiss ist: „Unbroken“ unter der Regie von Angelina Jolie über das Leben des Spitzensportlers und japanischen Kriegsgefangenen Louis „Louie“ Zamperini (1917–2014). Die deutschen Filmkritiken, die zu dem Film veröffentlicht wurden, scheinen eher verhalten zu sein. Auch bei den diesjährigen Nominierungen für den Oscar wurde dieser Film nur in weniger bedeutetenden Kategorien, für die „Beste Kameraführung“, den „Besten Ton“ und den „Besten Tonschnitt“, berücksichtigt. In Japan ist der Film in Kreisen konservativer Meinungsführer und Medien umstritten, behandelt er doch im siebzigsten Jahr nach Kriegsende den brutalen und menschenverachtenden Umgang mit alliierten Kriegsgefangenen seitens des japanischen Militärs. Anhänger eines japanischen Geschichtsrevisionismus, flankiert von Vertretern der japanischen „Society for the Dissemination of Historical Fact“ (Shijitsu o sekai ni hasshin suru kai 史実を世界に発信する会), agitierten vorbeugend gegen eine Veröffentlichung des Films in Japan. Mit Erfolg, wie es scheint, denn bisher wurde noch kein Datum für einen Filmstart in japanischen Lichtspielhäusern bekanntgegeben. Der japanische Filmverleih Tôhô tôwa 東宝東和, Kooperationspartner von Universal Pictures, hat sich bisher offenbar nicht auf eine Freigabe des Films in Japan festlegen wollen, wie das Unterhaltungsmagazin „Variety“ Mitte Januar online berichtete. In China hingegen sollte der Film am 30. Januar 2015 uraufgeführt werden, in Südkorea läuft er bereits seit dem 7. Januar 2015. Weiterlesen
Vielleicht ist es das Vorrecht der Kinder, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Möglicherweise aber ist es auch nur eine Ausdrucksform einer Erziehung, die den Ängsten und Sorgen positive Wünsche für eine gedeihliche zukünftige Entwicklung vorzieht. Zweifelsohne gäbe es im 21. Jahrhundert weltweit über die Generationengrenzen hinweg ausreichend Anlaß, sich Sorgen zu machen. Ungeachtet der Tatsache, daß die Krisen und Probleme moderner Gesellschaften auch die Kinder in ihrem Erleben und Denken erreichen, scheinen sie sich eine Portion der Zuversicht erhalten zu haben – zumindest in Japan und in einer überschaubaren Zahl. Anläßlich der Bekanntgabe des 20. „Schriftzeichens des Jahres“ (kotoshi no kanji 今年の漢字) Mitte Dezember 2014, von der ich bereits berichtete, wurde von der „Japanischen Gesellschaft zur Überprüfung der kanji–Fähigkeit“ (Nihon kanji nôryoku kentei kyôkai 日本漢字能力検定協会) unter den Schülern des 1. bis 6. Schuljahres in japanischen Grundschulen auch ein „Schriftzeichen der Zukunft“ (mirai no kanji 未来の漢字) eingeworben. Unter den zehn Schriftzeichen, die die meisten Stimmen der 6.387 Abgegebenen auf sich vereinen konnten, waren ausnahmslos Schriftzeichen mit einer zutiefst positiven Konnotation. Mit 674 Stimmen gewann das Schriftzeichen gaku – raku / tanoshii – tanoshimu 楽 mit seinen Bedeutungen wie etwa „behaglich“, „bequem“, „fröhlich“ und „vergnüglich“. Weiterlesen
Haben Sie nicht vielleicht auch den Eindruck, als sei das Jahr 2014, wenn auch noch wenige Wochen verbleiben, besonders schnell vergangen? Fast kommt es mir vor, als habe ich erst „gestern“ von der Wahl eines „Schriftzeichen des Jahres“ (kotoshi no kanji 今年の漢字) – da aber für das Jahr 2013 – als verkürzte Bilanz eines Jahreslaufs und den Modus seiner Auswahl berichtet. Heute wurde nun bereits das für das Jahr 2014 repräsentative Schriftzeichen gekürt. Es ist das 20. seiner Art. Die Wahl fiel auf das Schriftzeichen 税 mit den Lesungen zei - sei / mitsugi sowie der Bedeutung „Steuer“. Vor allem die Erhöhung (zôzei 増税) der Verbrauchssteuer (shôhi-zei 消費税) zum 1. April diesen Jahres, übrigens erstmals seit 1997, von 5% auf 8%, aber auch die Verschiebung einer ursprünglich für den 1. Oktober 2015 geplanten zweiten Anhebung auf 10% führten zum Votum für dieses Schriftzeichen. Die Anhebung der Verbrauchssteuer stelle durch eine Verteuerung von Waren des täglichen Bedarfs, der Transportkosten (für Taxis, Bahnen und Busse) und der Gebühren öffentlicher Versorgungsunternehmen für Strom, Gas und Wasser eine Belastung für die Haushaltsführung dar und habe dadurch einen großen Einfluß auf die Lebensweise der Japanerinnen und Japaner erlangt. Damit verwies es die Schriftzeichen netsu / atsu[i] – hate[ru] – iki[ru] – hotobori 熱 (= Hitze, auch Eifer bzw. Enthusiasmus) und kyo / fu{ku] – ha[ku] – uso 嘘 (= Lüge) auf den zweiten bzw. dritten Platz. Weiterlesen
Die Exekution
Am Vormittag des 7. November 1944, dem 27. Jahrestag des Sturms auf das Winterpalais in Sankt Petersburg als Beginn der Oktoberrevolution in Rußland, die nach unserem Kalender eigentlich eine „Novemberrevolution“ war, und heute auf den Tag genau vor siebzig Jahren, wurde um 10:20 Uhr im „Ichigaya-Gefängnis“ (Ichigaya keimusho 市谷刑務所) in Tôkyô der deutsche Journalist und sowjetische Spion Richard Sorge zum Galgen geführt. 16 Minuten später war er tot. Sorge war vom so genannten „Vierten Büro“ des Militärischen Nachrichtendienstes der Sowjetunion angeworben worden und hatte zuerst in China und ab 1933 in Japan einen Spionagering, über dessen Details ich schon früher berichtete, aufgebaut. Der Verlauf der Hinrichtung ist der Reproduktion eines japanischen Protokolls zu entnehmen, das als Teil eines Berichts aus dem August des Jahres 1947 in englischer Sprache zur Spionageaffäre, die mit dem Namen Richard Sorges untrennbar verbunden ist, im August 2004 zufällig von dem an der Geschichte sozialer Bewegungen interessierten Historiker und Aktivisten Watabe Tomiya 渡部富哉 in einem der Antiquariate der japanischen Hauptstadt im Stadteil Kanda entdeckt wurde. Weiterlesen
Einleitung
Erschrecken Sie bitte nicht. Ich habe nicht die Absicht, mich in diesem Beitrag jener Frage des Gretchens zuzuwenden, die Goethe im „Faust“ dieser in den Mund legte: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Privates darf privat bleiben; Glaubensfragen werden nur am Rande berührt – zumindest soweit sie meine persönlichen religiösen Überzeugungen betreffen. Ein Glaubensbekenntnis möchte ich weder abgeben noch verlangen. Meine Absicht ist es vielmehr nur, von einer Reise zu berichten, die mich schon vor mehreren Monaten, Anfang März 2014, in den Norden Japans, in das Dorf Shingô 新郷 im Süden der Präfektur Aomori 青森県, auf den Spuren einer japanischen Jesus-Legende zu einem Grab führte, das angeblich das „Grab Christi“ (Kirisuto no haka キリストの墓) sein soll. Dieses Grab steht dennoch nicht etwa in einem christlichen Kontext, sondern sollte bei seiner „Entdeckung“ im Jahr 1935 Glaubensinhalte einer neuen, in Shintô-Tradition stehenden Religion (shintô-kei shin-shûkyô 神道系新宗教) stützen, deren Exegese dazu veranlaßt, diese Religion in einer Kombination aus religions- und politikwissenschaftlicher Analyse unter dem Dach des religiösen Nationalismus, hier des Shintô-Nationalismus, zu verorten. Weiterlesen
Zumindest sind sie offenbar nicht justitiabel. Vor einigen Monaten berichtete ich von einer recht ungewöhnlichen Klage eines Pensionärs, dem die Entwicklung der japanische Sprache nicht völlig gleichgültig ist, gegen den öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NHK. Takahashi Hôji 高橋鵬二 hatte im vergangenen Jahr mit der Behauptung, durch einen zu häufigen Gebrauch englischer Lehnwörter in der japanischen Sprache in Fernsehsendungen des Staatsfernsehens „seelische Qualen“ (seishin-teki kutsû 精神的苦痛) zu erleiden, eine Schadenersatzklage vor dem Landgericht Nagoya (Nagoya chisai 名古屋地裁) angestrengt. Bereits am 12. Juni erging in der Sache das Urteil: Weiterlesen