Wer unlängst das Hin und Her einer zunächst erdachten und dann zurückgezogenen Verordnung der Europäischen Kommission zum Verbot offener Olivenöl-Karaffen in Speiselokalen verfolgt hat, verfügt schon über einen Eindruck, mit welchen wichtigen Angelegenheiten sich manche zentralen Regierungs- und Verwaltungsstellen über die Terrorismusbekämpfung oder die Konzeption wirkungsvoller Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise hinaus zu befassen haben. Daher überrascht es wenig, wenn das japanische Kabinett am 24. Mai 2013 auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten im Oberhaus Kagaya Ken 加賀谷健 von der Demokratischen Partei (minshutô 民主党) erklärte, „keine Kenntnisse“ von Geistererscheinungen (yûrei 幽霊) in der offiziellen Residenz des japanischen Ministerpräsidenten (sôri daijin kôtei 総理大臣公邸) zu haben. Selbst auf der Nachmittagspressekonferenz des Kabinettsekretärs (kanbô chôkan 官房長官) Suga Yoshihide 菅義偉 am 24.05. war diese Anfrage noch einmal Thema und beschäftigte dann in einer Kurzmeldung am Folgetag nahezu alle japanischen Tageszeitungen in ihren Online-Ausgaben. Auf die Frage eines Journalisten, ob er selbst schon die Anwesenheit von Geistern in der Residenz gespürt habe, hatte Suga schmunzelnd erklärt, dass er das nicht ausschließen könne („Iwarereba, sô ka na, to omoimashita“ 言われれば、そうかな、と思いました). Weiterlesen
Archiv der Kategorie: japanische Geschichte
Ein Aufsatz als gekürzter Nachdruck meines Arbeitspapieres zur Zivilgesellschaft vor 1945 ist in einer Publikation über die Bürger-Staat-Beziehungen in Japan erschienen:
Sprotte, Maik Hendrik (2013): „Zivilgesellschaft als staatliche Veranstaltung? Eine Spurensuche im Japan vor 1945.“ In: Foljanty-Jost, Gesine/ Hüstebeck, Momoyo (Hg.): Bürger und Staat in Japan. Halle/Saale: Universitätsverlag Halle-Wittenberg (= Schriften des Zentrums für Interdisziplinäre Regionalstudien, Band 3), S. 89—129. ⇒ zum Volltext dieser Publikation.
Ich habe die Inhaltsbeschreibung eines neuen Projekts, das mich neben meiner Arbeit an meinem Forschungsvorhaben in den letzten Monaten beschäftigt und dem ich unter dem Titel „Egon Bahrs Japan-Besuch 1969: ein Moment des japanischen ’nuclear hedging‘ “ nachgehe, der Aufstellung gegenwärtiger und zukünftiger Forschungsvorhaben hinzugefügt.
Zweifelsohne gehören die buddhistischen Heiligtümer Naras zu den beliebtesten Zielen japanischer wie ausländischer Touristen. Ganz oben auf der Liste der Tempel, die gerne besucht werden, dürfte der Tôdai-ji (東大寺) stehen. In seiner Haupthalle steht die über 16 Meter hohe Statue des Buddha Vairocana aus dem 8. nachchristlichen Jahrhundert. Aber auch eines der Nebengebäude, die „Halle der Lotus-Sutra“ (Hokke-dô 法華堂), auch: die „Halle des dritten Monats“ (San-gatsu-dô 三月堂) als ältester Teil des Tempels mit seinem Verweis in der Namensgebung auf den Monat, der nach dem „alten [Lunisolar-] Kalender“ (kyûreki 旧暦) besonders der Rezitation der Lotus-Sutra gewidmet ist, beherbergt eine besondere Sehenswürdigkeit: die Amoghapasa-Statue (fukû kenjaku Kannon ritsuzô 不空羂索観音立像), ebenfalls aus dem 8. Jahrhundert, der wie so vielen anderen religiösen Kunstgegenständen im Besitz des Tôdai-ji der Status eines „nationalen Schatzes“ (kokuhô 国宝) verliehen wurde. Dargestellt ist eine 8‑armige Manifestation des weiblichen Boddhisattva des Mitgefühls, der Kannon, die in ihrer ursprünglich männlichen Erscheinung [in Indien] als Avalokiteshvara zu den zentralen Protagonisten der Lotus-Sutra – als eines der zentralen Texte des Mahayana-Buddhismus – gehört. Mit ihrem zweiten Armpaar [von unten] hält sie ein Seil, auf das schon der Begriff kenjaku 羂索 im Namen der Statue verweist und mit dem die Kannon allen Lebewesen Beistand, Hilfe und Führung anbietet.
Im Herbst des vergangenen Jahres berichteten nahezu alle führenden Tageszeitungen Japans von überraschenden Erkenntnissen, die sich durch eine eingehende Untersuchung des Diadems (hôkan 宝冠) dieser Kannon-Statue durch einen Materialkundler und eine Glasexpertin ergeben hatten. Die Statue selbst mit einer Höhe von etwa 3,6 Metern war in das Museum des Tôdai-ji überführt worden, um eine Restaurierung ihrer Basis zu ermöglichen. Bei dieser Gelegenheit hatte man auch das Diadem entfernt, um es zu reinigen und möglichst an sein ursprüngliches Aussehen anzunähern. Weiterlesen
In der Arbeitspapierreihe des Internationalen Graduiertenkollegs „Formenwandel der Bürgergesellschaft. Japan und Deutschland im Vergleich“ (Universität Halle-Wittenberg und Universität Tôkyô) ist gerade ein längerer Text von mir erschienen, in dem ich mich unter dem Titel „Zivilgesellschaft als staatliche Veranstaltung? Eine Spurensuche im Japan vor 1945″ mit den historischen Wurzeln der japanischen Zivilgesellschaft auseinandersetze.
In meinem Diskussionsbeitrag trete ich für eine nachhaltigere Berücksichtigung historischer Prozesse in der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung zu Japan ein. Es scheint zu kurz zu greifen, die Existenz einer japanischen Zivilgesellschaft mit den Argumenten einer im Japan der Zeit verbreiteten „Tradition des Respekts für die Autorität und der Geringschätzung des Volkes“ (kanson minpi 官尊民卑) und eines Prinzips „der Selbstaufopferung für das Gemeinwohl“ (messhi hôkô 滅私奉公) infrage zu stellen. Dies gilt auch dann, wenn man unter dem Gesichtspunkt einer Berücksichtigung der Unterstützung des zeitgenössischen Herrschaftssystems durch breite gesellschaftliche Schichten, die sich partiell in Organisationen zusammenfanden, die meiner Interpretation nach als zivilgesellschaftliche kategorisiert werden können, nur eingeschränkt zivilgesellschaftstheoretische Annahmen zur Staatferne und Gewaltfreiheit unter Berücksichtigung von Zeit und Raum in Anwendung bringen kann. Weiterlesen
Dokumentar- und Spielfilme historischen Inhalts erfreuen sich nicht nur in Deutschland wachsender Beliebtheit. Auch in Japan bieten Jahrestage und runde Jubiläen nicht nur den Anlaß für wissenschaftliche Konferenzen, Gedenkveranstaltungen und Publikationen, sondern auch für die Aufarbeitung historischer Ereignisse in Form bewegter Bilder. Deren Themen sind vielfältig. So war und ist beispielsweise in ausgewählten Lichtspielhäusern in den Städten Shimanto 四万十, Kyôto 京都 und Tôkyô 東京 im August und September diesen Jahres ein Dokumentarfilm zu sehen, der sich mit der so genannten „Hochverratsaffäre“ (taigyaku jiken 大逆事件) der Jahre 1910 und 1911 beschäftigt.
Die Hochverratsaffäre ist eines der herausragenden Ereignisse in der langen Geschichte der Bekämpfung und Unterdrückung sozialistischer bzw. anarchistischer Überzeugungen in der japanischen Geschichte bis 1945. Unter dem Vorwurf, ein Attentat auf den Meiji Tennô 明治天皇 (1852–1912), dessen Todestag sich 2012 ebenfalls zum hundertsten Male jährte, und den Kronprinzen anläßlich der Geburtstagsparade des Kaisers am 3. November 1910 geplant zu haben, wurden tatsächliche und mutmaßliche japanische Anarchisten zu Hunderten unter dem Generalverdacht der Verschwörung zur Ermordung des Monarchen unter Beobachtung gestellt und verhört, von denen 26 wiederum in einem Verfahren vor dem Reichsgericht (daishin’in 大審院) abgeurteilt wurden. Hintergrund dieses Prozesses bildeten Bestimmungen des „alten Strafgesetzes“ (kyû-keihô 旧刑法), die für eine direkte Beteiligung an Plänen zum Königsmord, dem Hochverrat (taigyaku-zai 大逆罪) also, zwingend die Todesstrafe vorsahen. Weiterlesen
Am Nachmittag des 06. Juni ist in einem Tokyoter Krankenhaus Prinz Tomohito (Tomohito-shinnô 寛仁親王), der präsumtive Erbe des Prinzentitels Mikasa 三笠, im Alter von 66 Jahren verstorben. Als Sohn des jüngsten Bruders des Shôwa Tennô 昭和天皇 (1901–1989), des Prinzen Mikasa Takahito (Mikasa no miya Takahito-shinnô 三笠宮崇仁親王, geb. 1915), war er ein Cousin des gegenwärtigen Tennô. Er verstarb nach seiner 16. Krebsoperation seit 1991.
Der wegen seines Bartes in Japan freundlich als „bärtige Hoheit“ (hige no denka ヒゲの殿下) bezeichnete Prinz Tomohito erregte vor allem außerhalb Japans mediale Aufmerksamkeit, als er sich als Angehöriger des Kaiserhauses 2005 und 2006 überraschend deutlich gegen eine zur damaligen Zeit diskutierte Änderung des „Gesetzes für das Kaiserhaus“ (kôshitsu tenpan 皇室典範), mit der eine weibliche Thronfolge in Japan ermöglicht werden sollte, wandte. Weiterlesen