Vor siebzig Jahren: Hinrichtung des Journalisten und Spions Richard Sorge (1895–1944)

DDR-Briefmarke [1976] zu Ehren des "Kundschafters des Friedens" Richard SorgeDie Exekution

Am Vor­mit­tag des 7. Novem­ber 1944, dem 27. Jah­res­tag des Sturms auf das Win­ter­pa­lais in Sankt Peters­burg als Beginn der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on in Ruß­land, die nach unse­rem Kalen­der eigent­lich eine „Novem­ber­re­vo­lu­ti­on“ war, und heu­te auf den Tag genau vor sieb­zig Jah­ren, wur­de um 10:20 Uhr im „Ichigaya-Gefängnis“ (Ichi­ga­ya kei­mus­ho 市谷刑務所) in Tôkyô der deut­sche Jour­na­list und sowje­ti­sche Spi­on Richard Sor­ge zum Gal­gen geführt. 16 Minu­ten spä­ter war er tot. Sor­ge war vom so ge­nannten „Vier­ten Büro“ des Mili­tä­ri­schen Nach­rich­ten­diens­tes der Sowjet­union ange­wor­ben wor­den und hat­te zuerst in Chi­na und ab 1933 in Japan einen Spio­na­ge­ring, über des­sen Details ich schon frü­her berich­te­te, auf­ge­baut. Der Ver­lauf der Hin­rich­tung ist der Repro­duk­ti­on eines japa­ni­schen Pro­to­kolls zu ent­neh­men, das als Teil eines Berichts aus dem August des Jah­res 1947 in eng­li­scher Spra­che zur Spio­na­ge­af­fä­re, die mit dem Namen Richard Sor­ges untrenn­bar ver­bun­den ist, im August 2004 zufäl­lig von dem an der Geschich­te sozia­ler Bewe­gun­gen inter­es­sier­ten His­to­ri­ker und Akti­vis­ten Wata­be Tomi­ya 渡部富哉 in einem der Anti­qua­ria­te der japa­ni­schen Haupt­stadt im Stadteil Kan­da ent­deckt wur­de. Wei­ter­le­sen

Anglizismen verursachen keine seelischen Qualen!

Zumin­dest sind sie offen­bar nicht jus­ti­tia­bel. Vor eini­gen Mona­ten berich­te­te ich von einer recht unge­wöhn­li­chen Kla­ge eines Pen­sio­närs, dem die Ent­wick­lung der japa­ni­sche Spra­che nicht völ­lig gleich­gül­tig ist, gegen den öffentlich-rechtlichen Fern­seh­sen­der NHK. Taka­ha­shi Hôji 高橋鵬二 hat­te im ver­gan­ge­nen Jahr mit der Behaup­tung, durch einen zu häu­fi­gen Gebrauch eng­li­scher Lehn­wör­ter in der japa­ni­schen Spra­che in Fern­seh­sen­dun­gen des Staats­fern­se­hens „see­li­sche Qua­len“ (seishin-teki kutsû 精神的苦痛) zu erlei­den, eine Scha­den­er­satz­kla­ge vor dem Land­ge­richt Nago­ya (Nago­ya chi­sai 名古屋地裁) ange­strengt. Bereits am 12. Juni erging in der Sache das Urteil: Wei­ter­le­sen

Eine runde Sache – das „Schriftzeichen des Jahres“ 2013

Seit 1995 wird es in Japan ermit­telt – das chi­ne­si­sche „Schrift­zei­chen des Jah­res“ (koto­shi no kan­ji 今年の漢字). Als gemein­nüt­zi­ge Stif­tung wirbt die „Japa­ni­sche Gesell­schaft zur Über­prü­fung der kan­ji-Fähig­keit“ (Nihon kan­ji nôryo­ku ken­tei kyô­kai 日本漢字能力検定協会) jähr­lich Vor­schlä­ge für ein chi­ne­si­sches Schrift­zei­chen (kan­ji 漢字) ein, des­sen Bedeu­tung die Ent­wick­lun­gen eines Jah­res am bes­ten wider­spie­ge­le. Die Gesell­schaft hat ihren Sitz in Kyô­to und grün­det ihre Tätig­keit auf drei Säu­len: (1) der Stei­ge­rung des öffent­li­chen Bewußt­seins für die Bedeu­tung chi­ne­si­scher Schrift­zei­chen in der japa­ni­schen Spra­che, (2) der For­schung zur kan­ji-Kul­tur und zum Japa­ni­schen und (3) der Stei­ge­rung der Fähig­keit in der Ver­wen­dung chi­ne­si­scher Schrift­zei­chen. Zur Popu­la­ri­sie­rung chi­ne­si­scher Schrift­zei­chen wird nun­mehr seit 1995 an jedem 12. Dezem­ber, dem von der Gesell­schaft pro­kla­mier­ten „Tag des chi­ne­si­schen Schrift­zei­chens“ (kan­ji no hi 漢字の日), in einer medi­en­wirk­sa­men Zere­mo­nie am Kiyomizu-dera (清水寺), einem der belieb­tes­ten bud­dhis­ti­schen Tem­pel Kyô­tos, die jähr­li­che Wahl ver­kün­det. Dazu kal­li­gra­phiert der Vor­stand (kan­su / kan­ju 貫主) des Tem­pels, Mori Sei­han 森清範, groß­flä­chig die Aus­wahl des Jah­res. Die­se Kal­li­gra­phien wie­der­um wer­den im Muse­um der Gesell­schaft (kan­ji shiryô­kan 漢字資料館) gesam­melt und aus­ge­stellt. Mit dem „Tag des chi­ne­si­schen Schrift­zei­chens“ sol­le das Inter­es­se an kan­ji ver­tieft und eine Gele­gen­heit geschaf­fen wer­den, über die tief­grün­di­ge Bedeu­tung der Schrift­zei­chen, die den Kern der japa­ni­schen Spra­che dar­stell­ten, zu ler­nen. Außer­dem wol­le man gene­rell das Ver­ständ­nis für die japa­ni­sche Kul­tur ver­tie­fen. Die Aus­wahl jenes kon­kre­ten Datums eines „Tages des chi­ne­si­schen Schrift­zei­chens“ ihrer­seits, also des 12.12., erfolg­te gemäß einer Eigen­art in Japan, sich Zah­len über deren Lesung mit­tels einer „Esels­brü­cke“ mer­ken zu kön­nen und zugleich einen der Zah­len­aus­wahl Sinn geben­den Gehalt zu trans­por­tie­ren (goroa­wa­se 語呂合わせ):

1 – 2 – 1 – 2 = いい字一字 = „ii ji ichi­ji“ als Mot­to des Tages, mit dem der Wunsch aus­ge­drückt wird, sich (min­des­tens) „ein Zei­chen, ein schö­nes Zei­chen“ pro Jahr zu merken;

Für das Jahr 2013 wähl­te man das Zei­chen (rin / wa) mit der Bedeu­tung „Ring“, „Rad“ bzw. etwas „Run­des“. Die erfolg­rei­che Bewer­bung Tôkyôs um die Olym­pi­schen Som­mer­spie­le 2020, aber auch die Auf­nah­me des Ber­ges Fuji und der ihn umge­ben­den Orte in die Lis­te des Welt­kul­tur­er­bes sei­tens der UNESCO und die Qua­li­fi­zie­rung der japa­ni­schen Mann­schaft für die Fuß­ball­welt­meis­ter­schaft 2014 hät­ten gezeigt, daß man durch ein Zusam­men­ste­hen, durch „Team­work“, etwas errei­chen kön­ne. Glei­ches gel­te für die Bewoh­ner der Tôhoku-Region, also des Nord­os­tens Japans, mit deren Unter­stüt­zung die Tôho­ku Raku­ten Gol­den Eagles (東北楽天ゴールデンイーグルス) erst­mals in ihrer Ver­eins­ge­schich­te im Jahr 2013 in der japa­ni­schen Base­ball­li­ga den Meis­ter­ti­tel errin­gen konn­ten. Außer­dem habe man die Fol­gen der zahl­rei­chen Natur­ka­ta­stro­phen, die 2013 das Land heim­such­ten, dadurch über­win­den kön­ne, daß man zusam­men­ge­stan­den habe. Das Schrift­zei­chen doku­men­tie­re zudem auch eine grenz­über­schrei­ten­de Soli­da­ri­tät, wie sie sich bei­spiels­wei­se in der Ent­sen­dung des bis­her größ­ten Kon­tin­gen­tes der japa­ni­schen Selbst­ver­tei­di­gungs­kräf­te auf die Phil­ip­pi­nen zu Rettungs- und Hilfs­ak­tio­nen im Zuge der durch den Tai­fun Hai­yan ver­ur­sach­ten Zer­stö­run­gen äuße­re. Wei­ter­le­sen

Verursachen Anglizismen seelische Qualen?

Er ken­ne kein ande­res Land der Erde, in dem man so respekt­los mit der eige­nen Spra­che umge­he. Mit die­ser Ein­schät­zung wur­de Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Ram­sau­er (CSU) bereits im Jahr 2010 zitiert, als er in sei­nem Res­sort den Angli­zis­men in der deut­schen Spra­che den Kampf ansag­te. Ein „Flip­chart“ sei­nes Hau­ses wur­de so offen­bar wie­der zum „Tafel­schreib­block“, ein „Mee­ting“ zu einer „Bespre­chung“ und  ein „Lap­top“ zum „Klapp­rech­ner“. Da bekannt­lich nur der ste­te Trop­fen den Stein höhlt, dau­er­te es noch drei Jah­re, bis auch die Deut­sche Bahn 2013 erklär­te, nun­mehr die­sem Vor­bild fol­gen zu wol­len, in dem man zur Pfle­ge der deut­schen Spra­che künf­tig Angli­zis­men – soweit mög­lich – ver­mei­den wol­le. Wenn es dann auch bedau­er­lich scheint, statt auf den für „kiss & ride“ vor­ge­se­he­nen Park­plät­zen doch mög­li­cher­wei­se zukünf­tig nur wie­der in der „Kurz­zeit­park­zo­ne“ Abschied neh­men zu kön­nen, mag die­ses Vor­ge­hen begrenzt die Kom­mu­ni­ka­ti­on in der Gesell­schaft über die Gene­ra­tio­nen­gren­zen hin­weg erleich­tern. Dem Bun­des­mi­nis­ter sei den­noch eine Rei­se nach Japan emp­foh­len, denn so könn­te er jen­seits sei­ner auf den natio­na­len Bereich beschränk­ten Sicht­wei­se viel­leicht ein wei­te­res „Land der Erde“ ken­nen­ler­nen, in dem er sprach­lich Begeis­ter­te tref­fen könn­te, die sei­ne Ansich­ten hin­sicht­lich der Respekt­lo­sig­keit des sprach­li­chen Umgangs nahe­zu deckungs­gleich zu tei­len schei­nen und glei­cher­ma­ßen die sprach­li­che Ent­wick­lung ihres Lan­des kritisieren.

Im Som­mer 2013 war bei­spiels­wei­se auch für den 71-jährigen Taka­ha­shi Hôji 高橋鵬二 eine Gren­ze über­schrit­ten. Als Ver­ant­wort­li­cher eines „Ver­eins, der die japa­ni­sche Spra­che hoch­schätzt“ (Nihon­go o tai­setsu ni suru kai 日本語を大切にする会) reich­te der in der Stadt Kani in der Prä­fek­tur Gifu 岐阜県可児市 ansäs­si­ge ehe­ma­li­ge Beam­te über sei­nen Anwalt eine Scha­den­er­satz­kla­ge beim Land­ge­richt Nago­ya (Nago­ya chi­sai 名古屋地裁) gegen die öffentlich-rechtliche Sen­de­an­stalt NHK (Nihon hôsô kyô­kai 日本放送協会) ein. Anlaß sei­ner Kla­ge waren „see­li­sche Qua­len“ (seishin-teki kutsû 精神的苦痛), die durch den über­mä­ßi­gen Gebrauch von Lehn­wör­tern, vor­nehm­lich eng­li­scher Pro­ve­ni­enz, in Sen­dun­gen des öffent­li­chen recht­li­chen Fern­se­hens ver­ur­sacht wor­den sein sol­len. Inhalt­lich wand­te er sich gegen den „wider­recht­li­chen Gebrauch“ von Lehn­wör­tern in Fern­seh­sen­dun­gen, selbst dann, wenn die­ser völ­lig unnö­tig sei. Mögen jun­ge Men­schen auch die­se Fremd­wör­ter ver­ste­hen, könn­te eine älte­re Per­son Begrif­fe wie etwa アスリート (asurî­to, = ath­le­te, = Ath­let) oder コンプライアンス (kon­pur­ai­an­su, = com­pli­ance, = Ein­wil­li­gung, Kon­for­mi­tät, Über­ein­stim­mung, Ord­nungs­mä­ßig­keit) inhalt­lich nicht erfas­sen. Der über­mä­ßi­ge Gebrauch von Fremd­spra­chen füh­re bei Per­so­nen, die die­sem gegen­über ein Unwohl­sein emp­fän­den, zu unnö­ti­gen see­li­schen Qua­len und stel­le somit ein „Delikt“ (fuhô kôi 不法行為) gemäß § 709 des japa­ni­schen Bür­ger­li­chen Gesetz­bu­ches (min­pô dai-709-jô 民法第709条) dar. Gera­de ein öffentlich-rechtlicher Sen­der wie NHK sei aber zu einer all­seits ver­ständ­li­chen Aus­drucks­wei­se ver­pflich­tet. Nach­dem die Beant­wor­tung eines Schrei­bens zum Gebrauch von Lehn­wör­tern durch NHK nicht erfolgt sei, habe sich Taka­ha­shi zur Kla­ge ver­an­laßt gese­hen. Wei­ter­le­sen

Von Zwergkastanien oder dem Weg als Ziel – das Leben Shôchi Saburôs 曻地三郎 (1906–2013)

Am 16.08.2012, sei­nem 106. Geburts­tag, so weiß die japa­ni­sche Tages­zei­tung Mai­ni­chi shin­bun zu berich­ten, wur­de Shôchi Saburô 曻地三郎 in das „Gui­ness Buch der Rekor­de“ auf­ge­nom­men. Sei­ne beson­de­re Leis­tung bestand dar­in, als bis­her „ältes­ter Mensch unter Nut­zung öffent­li­cher Ver­kehrs­mit­tel die Erde umrun­det“ zu haben. Seit sei­nem 100. Geburts­tag hat sich Shôchi Saburô, der auf sei­ner Rei­se stets mit einem schwar­zen Zylin­der und rotem Hut­band zu sehen war, jähr­lich auf eine Vor­trags­rei­se ins Aus­land bege­ben. Zu sei­ner dies­jäh­ri­gen Flug­rei­se war er am 16.07. in sei­ner Hei­mat­stadt Fuku­o­ka auf­ge­bro­chen. Er leg­te rund 57.000 Kilo­me­tern bei 16 Umstie­gen zurück. In der First Class reis­te er, sei­nem Alter ent­spre­chend, ver­gleichs­wei­se bequem. Unter ande­rem nahm der pro­mo­vier­te Päd­ago­ge am „Inter­na­tio­nal Con­gress of Psy­cho­lo­gy“ in Cape Town (Süd­afri­ka) teil. Wenn man der Mai­ni­chi shin­bun glau­ben darf, ist sein nächs­tes per­sön­li­ches Ziel die Teil­nah­me am kom­men­den Psy­cho­lo­gen­kon­gress – 2016 in Yokohama.

Unge­ach­tet die­ser äußerst respek­ta­blen Leis­tung wäre es sicher nicht all­zu inter­es­sant, hier wei­ter auf die­se Per­son ein­zu­ge­hen, wenn sich bei nähe­rer Recher­che nicht eine noch bemer­kens­wer­te­re Lebens­ge­schich­te offen­bar­te. Die­ser noch im 39. Jahr der Meiji-Zeit (1906) auf Hok­kai­dô Gebo­re­ne kann auf ein an aka­de­mi­schen Titeln und inter­na­tio­na­len wis­sen­schaft­li­chen Aus­zeich­nun­gen rei­ches, aber auch mit per­sön­li­chen Prü­fun­gen ver­se­he­nes Leben zurück­bli­cken. Wei­ter­le­sen