Die „Nachrichten des Windes“ (kaze no tayori 風の便り): Zur Wirkung von Gerüchten und Falschmeldungen in den Erdbebenkatastrophen 1923 und 2011:
In einem europäischen Kontext weist bereits der Dichter Vergil in seinem Hauptwerk, der Aeneis, aus dem letzten vorchristlichen Jahrhundert der Göttin des Gerüchts (und des Ruhmes) in der römischen Mythologie, Fama, besondere Eigenschaften zu:
„Fama, kein anderes Wesen kommt ihr an Schnelligkeit gleich, regt sich in ihrer Beweglichkeit und erwirbt Kräfte im Gehen.“
So nahm er bereits Ergebnisse der Gerüchteforschung vorweg, die einen Höhepunkt in den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts erreichte. Wichtigstes Ziel dieser Forschungen war die Schaffung eines wissenschaftlich fundierten Sets von Instrumenten zur Vermeidung einer Destabilisierung der „Heimatfronten“ wie der kämpfenden Truppe durch Gerüchte, die in Gesellschaften im Kriegszustand geradezu unvermeidbar eine bedeutende und gelegentlich auch bedrohliche Wirkungsmacht entwickelten. Heute besteht in der wissenschaftlichen Diskussion Konsens darüber, dass sich die Aktionsmodi von Gesellschaften unter Kriegsbedingungen nicht von jenen der Gemeinwesen unter Existenzbedingungen als Folge eines verheerenden Naturereignisses unterscheiden.
Gegenstand meiner Forschung ist mithin die Analyse der Inhalte, der Verbreitungswege sowie besonders der Folgen spezifischer Gerüchte innerhalb des japanischen Gemeinwesens, soweit sie Erdbebenkatastrophen betreffen. Hier sollen nach einer wissenschaftlich-theoretischen Verortung der Termini „Katastrophe“ und „Gerücht“ (uwasa 噂) bzw. „Falschmeldung“ (im japanischen Kontext: ryûgen higo 流言飛語, auch fûhyô 風評) exemplarisch auf das „Große Kantô-Erdbeben“ (Kantô daishinsai 関東大震災) 1923 und die „Erdbebenkatastrophe im Osten Japans“ (Higashi-Nihon daishinsai 東日本大震災) vom März 2011 konzentrieren. Mein Augenmerk werde ich auf die während der Katastrophe verbreiteten, für einzelne soziale Gruppen oder die gesamte japanische Gesellschaft als bedrohlich empfundene Gerüchte richten. Ich konzentriere mich vor allem – aber nicht ausschließlich – auf solche, die sich als falsch herausgestellt zu haben scheinen, wobei ich diese Aussage im Kontext der mit dem Kernkraftwerk „Fukushima I“ in Zusammenhang stehenden Gerüchte auch sogleich wieder einzuschränken habe, denn die Folgen der Reaktorkatastrophe scheinen auch heute noch nicht vollständig absehbar.
(2014)
★ Nachdem am 14. April 2016 die südlichste der vier japanischen Hauptinseln, Kyûshû, mit der Präfektur Kumamoto im Fokus von einem schweren Erdbeben getroffen wurde, dem in einer ununterbrochenen Kette zum Teil noch weit schwere „Nachbeben” folgten, brodelte die Gerüchteküche in den sozialen Netzwerken. Darüber berichtete ich in einem Blogbeitrag.
(2016)
Zu der Analyse der Inhalte und Wirkungen von Gerüchten, auch mit einem Fokus auf Gerüchte in Erdbebenkatastrophen, habe ich bisher folgende Vorträge gehalten:
02.2019 | „Von der Blutsteuer zu ‚Brunnenvergiftern‘ – Über Gerüchte und Fake News in der Geschichte Japans“ an der Mori-Ôgai-Gedenkstätte der Humboldt-Universität Berlin. |
06.2013 | „Die ‚Nachrichten des Windes‘ (kaze no tayori 風の便り): Zur Wirkung von Gerüchten (uwasa 噂) und Falschmeldungen (ryûgen higo 流言蜚語) in den Erdbebenkatastrophen 1923 und 2011″ am Ostasiatischen Institut (Japanologie) der Universität Leipzig. |
07.2012 | „Gerücht und Gewalt — Zur Wirkung der ‚Stillen Post‘ in Erdbebenkatastrophen“ im Rahmen der Sommerakademie des Internationalen Graduiertenkollegs „Formenwandel der Bürgergesellschaft“ an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. |
01.2012 | „Das jüngste Gerücht — Falschmeldungen (ryûgen higo 流言飛語) im Kontext japanischer Erdbebenkatastrophen des 20. und 21. Jahrhunderts“ im Rahmen des Bewerbungsverfahrens um die Professur für Japanologie mit dem Schwerpunkt Geschichte/Gesellschaft an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. |