Hauptseminar: „Japans Kriege“ aus sozialwissenschaftlicher Perspektive (Modul „Gesellschaft Japans“ 1):
Auf der Grundlage der Beschreibung des Moduls im Handbuch des Master-Studienganges „Japanologie“ an der Universität Halle-Wittenberg wird in dieser Veranstaltung der durch unterschiedliche Kriege, in die Japan im Laufe seiner modernen Geschichte seit der Meiji-Restauration der Jahre 1867/68 mehr oder weniger aktiv einbezogen war, verursachte Wandel der japanischen Gesellschaft interdisziplinär untersucht. Ausgehend von der Prämisse, daß das Phänomen „Krieg“ ein Teil der Moderne und nicht etwa eine Erscheinungsform einer unvollendeten, fehlerhaften oder fehlgeleiteten Modernisierung ist, sollen in Abgenzung zu diesen modernisierungstheoretischen Annahmen die Spezifik und Struktur der japanischen Gesellschaft in ihrer jeweiligen, zeitgenössischen Erscheinungsform untersucht werden. Dies folgt den frühen kriegs- und späteren krisensoziologischen Annahmen, denenzufolge Krieg eben nicht ein Störfaktor innerhalb eines durch die modernisierungstheoretische Dialektik vorgezeichneten Demokratiesierungsprozeß moderner Gesellschaften ist (Stichwort: „Linearität der Geschichte“), sondern seinerseits erheblich zur Richtungsgebung und Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung innerhalb eines modernen Gemeinwesens beigetragen hat.
Krieg wird im Kontext dieser Lehrveranstaltung in einem weiten Sinn sowohl als nach außen gerichteter Gewaltakt eines Staates gegen einen anderen als auch als gewalttätige Handlung gegen einen Feind im Inneren der eigenen Gesellschaft verstanden. Untersucht werden zunächst die durch eine wirkliche oder vermeintliche Bedrohung eines inneren oder äußeren Feindes bedingten Brüche und Kontinuitäten im Entstehungsprozess eines Verteidigungskonsenses innerhalb der sich modernisierenden und schließlich modernen japanischen Gesellschaft, der durch sie eintretende Gestaltwandel des Gemeinwesens im Krieg und besondere Formen der Vergemeinschaft und der Mobilisierung sozialer Ressourcen zur Verwirklichung spezifischer Kriegsziele. In einem zweiten Schritt werden wir uns dann der Frage zuwenden, ob und wie nach seinem Ende das Ergebnis eines spezifischen inneren und äußeren Krieges seinerseits Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung Japans zwischen der Meiji-Restauration und kriegsähnlichen Ereignissen der unmittelbaren Gegenwart hat. Dabei bedienen wir uns gleichermaßen politikwissenschaftlicher, wirtschaftswissenschaftlicher, soziologischer wie religions- und philosophiegeschichtlicher Instrumentarien.
weiterführende Literatur:
- Beck, Ulrich (1993): Die Erfinding des Politischen. Zu einer Theorie reflexiver Modernisierung. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Joas, Hans (2000): Krieg und Werte. Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Weilerswist: Velbrück.
- Joas, Hans u. Wolfgang Knöbl (2008): Kriegsverdrängung. Ein Problem in der Geschichte der Kriegstheorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp.
- Spreen, Dierk (2008): Krieg und Gesellschaft. Die Konstitutionsfunktion des Krieges für moderne Gesellschaften. Berlin: Duncker & Humblot.
Die Veranstaltung gliedert sich inhaltlich folgendermaßen:
Lektüre und Diskussion:
♦ Wehler, Hans-Ulrich (²1979): „Vom ‚Absoluten‘ zum ‚Totalen‘ Krieg oder: Von Clausewitz zu Ludendorff.“ In: Ders.: Krisenherde des Kaiserreichs 1871–1918. Studien zur deutschen Sozial- und Verfassungsgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, S. 89–116.
„Bürgerkrieg“ (Boshin sensô 戊辰戦争) im Rahmen der Meiji-Restauration (Meiji ishin 明治維新):
♦ Modernisierung (kindaika 近代化) als generelles Problem. Der „Süd-West-Krieg“ (Seinan sensô 西南戦争):
♦ Die Reform der Gesellschaft und deren Folgen.
♦ Die Bedeutung der Wehrpflicht (chôhei-sei 徴兵制).
Der 1. Chinesisch-Japanische Krieg (Nisshin sensô 日清戦争):
♦ Die Zweite Industrielle Revolution (dai-ni sangyô kakumei 第二産業革命) und ihre Folgen.
Der Russisch-Japanische Krieg 1 (Nichiro sensô 日露戦争):
♦ Die „Ablehnung des Krieges“ (hansenron 反戦論) und Frühsozialismus (shoki shakaishugi 初期社会主義).
Der Russisch-Japanische Krieg 2:
♦ Die Anfänge der Taishô-Demokratie (Taishô demokurashî 大正デモクラシー) und die „Phase des Volksaufruhrs“ (minshû sôjô-ki 民衆騒擾期 ).
Der Erste Weltkrieg (Dai-ichiji sekai taisen 第一次世界大戦):
♦ Reisunruhen (kome sôdô 米騒動).
♦ Die Regierung des „Volkskanzlers“ Hara Takashi (原敬, 1856–1921) und das Volk.
♦ Wahlrecht und Sicherheitsgesetze – soziale Einflüsse.
Der 15-jahrige Krieg (15-nen sensô 十五年戦争) / der Asiatisch-Pazifische Krieg 1 (Ajia Taiheiyô sensô アジア・太平洋戦争):
♦ Die Bewegung zur „Mobilisierung des nationalen Geistes“ (Kokka seishin sodôin undô 国家精神総動員運動).
♦ Die „Gesellschaft zur Unterstützung der Kaiserherrschaft“ (Taisei yokusan-kai 大政翼賛会).
♦ Das Volk im Krieg (z.B. Luftschutz, Rolle der Frau, Nachbarschaftsorganisationen, Lebensmittelknappheit).
Der 15-jährige Krieg / der Asiatisch-Pazifische Krieg 2:
♦ Die fünf großen Reformen (go dai-kaikaku 五大改革) der Besatzungszeit und ihre gesellschaftliche Bedeutung.
♦ „mehr Demokratie wagen“?
♦ Die Kommunistische Partei Japans (Nihon kyôsan-tô 日本共産党).
Der Korea-Krieg (Chôsen sensô 朝鮮戦争):
♦ Das große Wirtschaftswachstum (kôdo keizai seichô 高度経済成長).
Der Vietnam-Krieg (Betonamu sensô ベトナム戦争):
♦ Satô Eisaku (佐藤栄作, 1901–1975), die japanische Atomwaffenpolitik und der Friedensnobelpreis.
♦ 1968: die Studentenbewegung.
♦ Die Rote-Armee-Fraktion(en).
Die Golfkriege (Wangan sensô 湾岸戦争), Afghanistan und Irak-Krieg (Iraku sensô イラク戦争):
♦ Pazifismus und Preace keeping operations.
♦ Das „Kriegsverbot“ der japanischen Verfassung.
♦ Bürgergesellschaft und Friedensarbeit.
(Sommersemester 2010)