Wer unlängst das Hin und Her einer zunächst erdachten und dann zurückgezogenen Verordnung der Europäischen Kommission zum Verbot offener Olivenöl-Karaffen in Speiselokalen verfolgt hat, verfügt schon über einen Eindruck, mit welchen wichtigen Angelegenheiten sich manche zentralen Regierungs- und Verwaltungsstellen über die Terrorismusbekämpfung oder die Konzeption wirkungsvoller Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise hinaus zu befassen haben. Daher überrascht es wenig, wenn das japanische Kabinett am 24. Mai 2013 auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten im Oberhaus Kagaya Ken 加賀谷健 von der Demokratischen Partei (minshutô 民主党) erklärte, „keine Kenntnisse“ von Geistererscheinungen (yûrei 幽霊) in der offiziellen Residenz des japanischen Ministerpräsidenten (sôri daijin kôtei 総理大臣公邸) zu haben. Selbst auf der Nachmittagspressekonferenz des Kabinettsekretärs (kanbô chôkan 官房長官) Suga Yoshihide 菅義偉 am 24.05. war diese Anfrage noch einmal Thema und beschäftigte dann in einer Kurzmeldung am Folgetag nahezu alle japanischen Tageszeitungen in ihren Online-Ausgaben. Auf die Frage eines Journalisten, ob er selbst schon die Anwesenheit von Geistern in der Residenz gespürt habe, hatte Suga schmunzelnd erklärt, dass er das nicht ausschließen könne („Iwarereba, sô ka na, to omoimashita“ 言われれば、そうかな、と思いました).
Als eine der „städischen Legenden“ (urban legend, toshi densetsu 都市伝説) hält sich nachhaltig das Gerücht, daß Personen, die während der beiden Putschversuche junger Offiziere vom 15. Mai 1932 und 26. Februar 1936 in der damaligen, „alten“ Residenz (kyû-kôtei 旧公邸) des japanischen Ministerpräsidenten ihr Leben verloren, in zeitgenössische Uniformen gekleidet, noch heute gelegentlich ihr geisterhaftes Unwesen in der zwischen 2003 und 2005 erweiterten und renovierten Residenz des japanischen Ministerpräsidenten trieben. 1932 wurden in der Residenz ein Polizist und der Ministerpräsident Inukai Tsuyoshi 犬養毅 (1855–1932), 1936 vier Angehörige des Wachpersonals und versehentlich der Schwager und Sekretär des damals amtierenden Ministerpräsidenten Okada Keisuke 岡田啓介 (1868–1952), Matsuo Denzô 松尾伝蔵 (1872–1936), dessen Aussehen dem seines Schwagers sehr ähnelte, erschossen.
Die Anfrage des Abgeordneten Kagaya hat aber einen durchaus ernsten Hintergrund, wenn auch die Frage nach den Geistern die eigentliche Absicht seines Anliegens zu verschleiern droht. Kern der parlamentarischen Anfrage, die aus mehr als nur aus der Frage nach den Geistern besteht, ist nämlich die Problematik einer tatsächlichen Nutzung der mit großen Summen aus Steuergeldern errichteten Residenzen japanischer Offizieller. Ministerpräsident Abe Shinzô 安倍晋三 selbst, seit etwas mehr als 5 Monaten im Amt, ist bisher noch nicht in die offizielle Residenz umgezogen, was zumindest in den Medien des Landes die Frage nach der Sicherheit seiner Person einerseits, aber auch nach seiner Arbeitsfähigkeit in Krisenzeiten andererseits aufwirft, da sich die offizielle Residenz praktischerweise in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinem Amt befände. Ein Umzug gewährleiste doch eine kürzere Reaktionszeit des Regierungschefs. Bisher pendelt der Ministerpräsident von seinem privaten Wohnsitz zum Amt, nachdem im April ein erst im März angekündigter Umzug auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. So beinhaltet Kagayas Fragenkatalog auch das Erkunden eines Grundes für die Verschiebung des ministerpräsidentiellen Umzugs – Etwa die Gerüchte um Geister? – und die nach einem konkreten Zeitplan. Zudem wollte Kagaya wissen, ob im Katastrophenfall die Residenz für die Bevölkerung als Zufluchtsort geöffnet werden wird oder aber aus Sicherheitsgründen verschlossen bleiben muß.
Nicht berichtet wurde indes, ob die japanische Regierung in Analogie zu einer in der Bundesrepublik gelegentlich als offizielle Amtsbezeichnung missverstandenen isländischen „Elfenbeauftragten“ über die Schaffung einer für die Geister zuständigen Einrichtung nachdenkt.