Der Russisch-Japanische Krieg (1904/05) – Anbruch einer neuen Zeit?

Kolloquium & Publikation: „Der Russisch-Japanische Krieg (1904/05) – Anbruch einer neuen Zeit?“

Als Ergeb­nis die­ser Tagung ist erschienen:

Buchdeckel von Sprotte, Maik Hendrik/ Sei­fert, Wolfgang/ Löwe, Heinz-Dietrich (Hg.) (2007): Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05 — Anbruch einer neuen Zeit? Wies­ba­den: Har­ras­so­witz.Sprot­te, Maik Hendrik/ Sei­fert, Wolfgang/ Löwe, Heinz-Dietrich (Hg.) (2007): Der Russisch-Japanische Krieg 1904/05 — Anbruch einer neu­en Zeit? Wies­ba­den: Har­ras­so­witz. (Eine Über­sicht der zu die­sem Auf­satz­band erschie­nen Rezen­sio­nen fin­den Sie hier.)

Tagungsbericht:

Vom 1. bis 3. Dezem­ber 2005 fand an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg ein Kol­lo­qui­um zur welt­ge­schicht­li­chen Bedeu­tung des Russisch-Japanischen Krie­ges (Initia­ti­ve und Kon­zep­ti­on: Dr. Maik Hen­drik Sprot­te; ver­ant­wort­lich: Prof. Wolf­gang Sei­fert und Dr. Maik Hen­drik Sprot­te, Insti­tut für Japa­no­lo­gie) statt, das finan­zi­ell von der Geschwister-Supp-Stiftung (Hei­del­berg) unter­stützt wur­de. Ziel der Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten war es, in der Aus­wei­tung einer auf Asi­en beschränk­ten, natio­nal­ge­schicht­lich ori­en­tier­ten Ana­ly­se des Krie­ges, sei­ner Ursa­chen und Wir­kun­gen den bis­he­ri­gen his­to­ri­schen Inter­pre­ta­tio­nen eine welt­his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve hin­zu­zu­fü­gen. Die welt­ge­schicht­lich mit dem Beginn des 20. Jahr­hun­derts wach­sen­de Bedeu­tung Ost­asi­ens als his­to­ri­scher „Raum“ trans- und intra­na­tio­na­ler Inter­ak­ti­on bot in der Aus­wahl eines so wir­kungs­mäch­ti­gen Ereig­nis­ses wie des Russisch-Japanischen Krie­ges die Mög­lich­keit, rein regio­nal­wis­sen­schaft­li­che Inter­pre­ta­ti­ons­dis­kur­se zu über­win­den und über die Moti­ve der eigent­li­chen Kriegs­geg­ner hin­aus­rei­chen­de welt­po­li­ti­sche Inter­ak­tio­nen und Ver­flech­tun­gen zu unter­su­chen bzw. zu ver­deut­li­chen. Unter Berück­sich­ti­gung sozial‑, wirtschafts‑, diplomatie- und poli­tik­his­to­ri­scher Aspek­te wur­de metho­disch die Absicht ver­folgt, par­ti­ku­la­re Fak­to­ren in der his­to­ri­schen Ent­wick­lung der Regi­on durch quel­len­na­hes Arbei­ten mit einer Debat­te über die welt­wei­te Wir­kungs­ge­schich­te die­ses krie­ge­ri­schen Ereig­nis­ses zu kom­bi­nie­ren, um sei­ner regio­na­len Mar­gi­na­li­sie­rung entgegenzuwirken.

In alpha­be­ti­scher Rei­hen­fol­ge gehör­ten fol­gen­de Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen zu den Bei­tra­gen­den: Prof. Dr. Man­fred Berg, His­to­ri­sches Semi­nar (Curt Engelhorn-Lehrstuhl für ame­ri­ka­ni­sche Geschich­te), Dr. Edda Binder-Iijima (Hei­del­berg), Prof. Dr. Gita Dharampal-Frick (Südasien-Institut (SAI)), PD Dr. Phil­ipp Gas­sert (Hei­del­berg Cen­ter for Ame­ri­can Stu­dies (HCA)), Dr. des. Frank Grü­ner (Semi­nar für Ost­eu­ro­päi­sche Geschich­te), Prof. Dr. Heinz-Dietrich Löwe (Semi­nar für ost­eu­ro­päi­sche Geschich­te), Prof. Dr. Gotel­ind Müller-Saini (Insti­tut für Sino­lo­gie), Prof. Dr. Wolf­gang Sei­fert (Insti­tut für Japa­no­lo­gie), Dr. Maik Hen­drik Sprot­te (Insti­tut für Japa­no­lo­gie), Rapha­el Utz, M. Phil. (Semi­nar für Ost­eu­ro­päi­sche Geschichte).

Die Ver­an­stal­tung begann mit einem Fest­vor­trag anläss­lich der Auf­nah­me der Tätig­keit durch die Geschwister-Supp-Stiftung von Edda Binder-Iijima zu „Welt­po­li­ti­schen Duel­len und Pul­ver­fäs­sern – Der Russisch-Japanische Krieg und die ori­en­ta­li­schen Fra­ge“. Binder-Iijima wid­me­te sich in ihrem Bei­trag vor­nehm­lich der Wahr­neh­mung des Krie­ges und sei­nes Aus­gangs in der Bal­kan­re­gi­on und im Osma­ni­schen Reich, nicht ohne zugleich die­ses Ereig­nis auch hin­sicht­lich sich ver­än­dern­der Struk­tu­ren im gesam­ten Euro­pa zu würdigen.

Heinz-Dietrich Löwe und Maik Hen­drik Sprot­te zogen dann eine Bilanz, wie Russ­land und Japan sich 1904 zum Zeit­punkt des Kriegs­aus­bruchs posi­tio­niert hat­ten. Löwe beschrieb die Hal­tung Russ­lands im Span­nungs­ver­hält­nis einer vom Staat vor­an­ge­trie­be­nen Indus­tria­li­sie­rung und alter tra­di­tio­nel­ler Struk­tu­ren. Refor­men und Gegen-Reformen führ­ten zu gegen­läu­fi­gen Bewe­gun­gen einer „kon­ser­va­ti­ven Sta­bi­li­sie­rung“ einer­seits und grö­ße­re Frei­hei­ten erfor­der­lich machen­der Wirt­schafts­re­for­men gegen den Wider­stand des Zaren ande­rer­seits. Sprot­te stell­te dar, dass Japan nach der so genann­ten „Wie­der­her­stel­lung des mon­ar­chi­schen Sys­tems“ (ôsei fuk­kô) mit der Meiji-Restauration (Mei­ji ishin) des Jah­res 1868 einen für ein asia­ti­sches Land bei­spiel­lo­sen, erfolg­rei­chen Moder­ni­sie­rungs­pro­zess sei­ner poli­ti­schen, sozia­len, wirt­schaft­li­chen und mili­tä­ri­schen Insti­tu­tio­nen in Gang gesetzt hat­te, der 1904 das Gemein­we­sen als „rei­ches Land mit star­kem Mili­tär“ erschei­nen ließ. Die­ser Erfolg führ­te in der japa­ni­schen Innen­po­li­tik auch zu inten­si­ven Dis­kus­sio­nen über eine neue Posi­tio­nie­rung des Kai­ser­reichs hin­sicht­lich sei­ner Absich­ten auf dem asia­ti­schen Festland.

Die fol­gen­den Bei­trä­ge befass­ten sich mit einer Unter­su­chung der kon­kre­ten Aus­wir­kun­gen des Krie­ges zunächst auf die direk­ten Kriegs­geg­ner, um dann in einem zwei­ten Ana­ly­se­schritt durch ihn beding­te Ver­än­de­run­gen in Chi­na, dem indi­schen Sub­kon­ti­nent, den USA und der „alten Welt“ zu untersuchen.

Wolf­gang Sei­fert ging in sei­nem Bei­trag über das „Kai­ser­reich Korea als ‚Objekt‘ den außen­po­li­ti­schen Absich­ten Japans in Korea“ der Stra­te­gie Japans bei der Schritt wei­sen Anne­xi­on des Kai­ser­reichs Korea – vom Ver­trag von Kang­wha 1876 über die Kon­ven­ti­on vom 27. Novem­ber 1905 bis zum tat­säch­li­chen Ver­lust sei­ner Sou­ve­rä­ni­tät 1910 – nach, wobei er neben einer Beschrei­bung der kon­kre­ten macht­po­li­ti­schen Kon­stel­la­tio­nen auch die sich im Anne­xi­ons­pro­zess ver­än­dern­de japa­ni­sche Ter­mi­no­lo­gie berücksichtigte.

Maik Hen­drik Sprot­te skiz­zier­te neben einer all­ge­mei­nen, ereig­nis­ge­schicht­li­chen Dar­stel­lung der innen­po­li­ti­schen Ent­wick­lung Japans von der „Drei-Mächte-Intervention“ 1895 bis zum Rück­tritt des Kriegs­ka­bi­netts unter Minis­ter­prä­si­dent Kats­u­ra Tarô zu Beginn des Jah­res 1906 die innen­po­li­ti­schen Akteu­re des Lan­des und ihre Kon­zep­te im Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess der Zeit 6uuml;ber die Inhal­te und Gren­zen japa­ni­schen Enga­ge­ments auf dem asia­ti­schen Fest­land. Ver­fech­ter einer japa­ni­schen Hege­mo­nie in Ost­asi­en, Kon­zep­te eines erst spä­ter im enge­ren Sin­ne greif­ba­ren japa­ni­schen Vari­an­te des Pan-Asianismus gebrau­chend, ste­hen hier japa­ni­schen Früh­so­zia­lis­ten gegen­über, die, obgleich japa­ni­sche Expan­si­on anfangs noch ambi­va­lent beur­tei­lend, zu einem strikt pazi­fis­ti­schen Kurs fanden.

Rapha­el Utz unter­such­te unter ande­rem auch auf der Grund­la­ge der Rei­se­be­rich­te und spä­te­rer Schrif­ten des Fürs­ten Uch­tom­skij, der 1891 den Zare­witsch und spä­te­ren Zaren Niko­laus II. auf sei­ner Grand Tour, die die­sen auch nach Japan geführt hat­te, beglei­tet hat­te, die Rol­le Ost­asi­ens im Kon­zept des rus­si­schen Natio­na­lis­mus. Hier stan­den Vor­stel­lun­gen einer Ver­wandt­schaft mit den Gesell­schaf­ten Ost­asi­ens neben Gefüh­len einer eige­nen kul­tu­rel­len Über­le­gen­heit, deren Gegen­satz durch die rus­si­sche Nie­der­la­ge noch ver­stärkt wurde.

Heinz-Dietrich Löwe sprach dann zu den innen­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Russ­land. Der Russisch-Japanische Krieg soll­te ein „klei­ner erfolg­rei­cher Krieg“, so der zari­sche Innen­mi­nis­ter Ple­ve, sein, der dann aber Ent­wick­lun­gen in Gang setz­te, die im Inne­ren Russ­lands deut­lich die Inef­fi­zi­enz des Regie­rungs­ap­pa­ra­tes zu Tage tre­ten lie­ßen und in die ers­te Revo­lu­ti­on 1905 führten.

Frank Grü­ner ging in sei­nem Dis­kus­si­ons­bei­trag den Erschüt­te­run­gen der zari­schen Auto­kra­tie durch den Krieg und die Revo­lu­ti­on von 1905 und ihrer publi­zis­ti­schen Ver­ar­bei­tung nach, wobei sein beson­de­res Augen­merk auf dem kon­ser­va­ti­ven Pres­se­we­sen lag, das vor­wie­gend nur begrenz­te Wir­kungs­mög­lich­kei­ten auf­grund der zari­schen Zen­sur und sei­nes Ver­brei­tungs­gra­des hatte.

Gotel­ind Müller-Saini rich­te­te ihr Augen­merk auf Chi­na als dem oft ver­nach­läs­sig­ten eigent­li­chen Schau­platz des Krie­ges. Die­ser Krieg stell­te für das Land eine wei­te­re in einer Rei­he von Kata­stro­phen dar. Sie kon­zen­trier­te sich dabei auf aus­ge­wähl­te Per­spek­ti­ven unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung des schwa­chen Stand­punkts der kai­ser­li­chen Regie­rung Chi­nas und ihrer diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen sowie einer Ana­ly­se der gesell­schaft­li­chen Wahr­neh­mung der Kriegs­par­tei­en in chi­ne­si­schen Pres­se­er­zeug­nis­sen, um dann auf die innen­po­li­ti­sche Dis­kus­si­on des japa­ni­schen Sie­ges ein­zu­ge­hen, der die Vor­aus­set­zung für eine wei­te­re Schwä­chung des chi­ne­si­schen Ein­flus­ses in Ost­asi­en darstellte.

Man­fred Berg kon­zen­trier­te sich in sei­nem Vor­trag zur Wir­kung des Russisch-Japanischen Krie­ges auf die poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Hal­tung der Ver­ei­nig­ten Staa­ten der Zeit einer­seits auf die Bemü­hun­gen eines Erhalts des macht­po­li­ti­schen Gleich­ge­wichts in Ost­asi­en, nicht zuletzt durch Prä­si­dent Theo­do­re Roo­se­velt, um ande­rer­seits zeit­ge­nös­si­schen Inter­pre­ta­tio­nen vom „Auf­stieg und Nie­der­gang der Zivi­li­sa­tio­nen und ´ras­si­scher‚ Leis­tungs­kraft“ US-amerikanischer Pro­ve­ni­enz Raum zu geben.

Der Ein­fluss des Russisch-Japanischen Krie­ges auf die indi­sche Natio­nal­be­we­gung stand im Mit­tel­punkt des Inter­es­ses von Gita Dharampal-Frick. Auf wesent­li­che zeit­ge­nös­si­sche und spä­te­re Füh­rer der indi­schen Unab­hän­gig­keits­be­we­gung wirk­te der japa­ni­sche Sieg sti­mu­lie­rend. Die mut­maß­lich japa­ni­schen „Tugen­den“ eines ein­heit­li­chen Hand­lungs­wil­lens, der Bereit­schaft zum Dienst für die Nati­on und heroi­sche Furcht­lo­sig­keit gal­ten als indi­sche Vor­bil­der. Ein enger japanisch-indischer Aus­tausch in der Vor­kriegs­zeit hat­te hier­für eine Basis geschaf­fen, wobei nicht nur in Pres­se­er­zeug­nis­sen die Erfol­ge der japa­ni­schen Moder­ni­sie­rungs­be­mü­hun­gen auch zugleich zu Instru­men­ten der Kri­tik an der bri­ti­schen Kolo­ni­al­macht wurden.

Phil­ipp Gas­sert schließ­lich unter­such­te die Rol­le des Krie­ges als „Dis­in­te­gra­tor der Alten Welt“. Fra­gen nach einer ver­än­der­ten euro­päi­schen Wahr­neh­mung Asi­ens auf­grund des japa­ni­schen Sie­ges und der Funk­ti­on äuße­rer Bedro­hungs­sze­na­ri­en für Euro­pa unter dem Stich­wort einer „Gel­ben Gefahr“ stan­den im Mit­tel­punkt sei­ner Ana­ly­se. Hin­sicht­lich der inner­eu­ro­päi­schen Bezie­hun­gen der Mäch­te habe die­ser Krieg kei­ne wesent­li­che Ver­än­de­rung bedeu­tet, da wich­ti­ge Ent­wick­lun­gen, wie etwa die einer deut­schen Iso­lie­rung oder der Annä­he­rung Groß­bri­tan­ni­ens, Frank­reichs und Russ­lands, schon vor­her erkenn­bar gewe­sen seien.

Mit die­ser gemein­sa­men Ver­an­stal­tung meh­re­rer Ein­rich­tun­gen der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg zum Russisch-Japanischen Krieg (1904/05) anläss­lich der 100. Wie­der­kehr der Unter­zeich­nung des ihn been­den­den „Frie­dens­ver­tra­ges von Ports­mouth“ vom 5. Sep­tem­ber 1905 wur­de die Absicht ver­folgt, die Zusam­men­ar­beit der teil­neh­men­den Insti­tu­tio­nen zu stär­ken, die fach­li­che Ver­net­zung zu inten­si­vie­ren und das in die­sen Insti­tu­ten und Semi­na­ren vor­han­de­ne Exper­ten­wis­sen zu bün­deln. Durch die brei­te fach­li­che Aus­rich­tung der Refe­ren­tin­nen und Refe­ren­ten war gewähr­leis­tet, daß man sich der Bedeu­tung des Krie­ges und sei­ner Fol­gen in einer umfas­sen­den, gemein­sa­men Ana­ly­se durch His­to­ri­ker und his­to­risch arbei­ten­de Regio­nal­wis­sen­schaft­ler – ohne ein­sei­ti­ge Über­be­to­nung aus­schließ­lich euro­päi­scher oder aus­schließ­lich ost­asia­ti­scher Ent­wick­lun­gen – tat­säch­lich nähern konn­te. Die Wir­kung die­ses Krie­ges beschränk­te sich nicht aus­schließ­lich auf eine Ver­schie­bung der zeit­ge­nös­si­schen Macht­ver­tei­lung in Ost­asi­en allein, son­dern trat eben­so in eine Wech­sel­be­zie­hung mit den Unab­hän­gig­keits­be­we­gun­gen Süd­asi­ens, der US-amerikanischen Asi­en­po­li­tik und den euro­päi­schen Bündnissystemen.

Ergän­zung: Neben die­sem Kol­lo­qui­um mit der gleich­na­mi­gen Publi­ka­ti­on setz­te ich damals eine klei­ne Aus­stel­lung im Foy­er des Insti­tuts für Japa­no­lo­gie der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg unter dem Titel „Der Russisch-Japanische Krieg (日露戦争, 1904/05)“ um.

Zurück zur Übersicht beendeter Projekte