Seit 1995 wird es in Japan ermittelt – das chinesische „Schriftzeichen des Jahres“ (kotoshi no kanji 今年の漢字). Als gemeinnützige Stiftung wirbt die „Japanische Gesellschaft zur Überprüfung der kanji-Fähigkeit“ (Nihon kanji nôryoku kentei kyôkai 日本漢字能力検定協会) jährlich Vorschläge für ein chinesisches Schriftzeichen (kanji 漢字) ein, dessen Bedeutung die Entwicklungen eines Jahres am besten widerspiegele. Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Kyôto und gründet ihre Tätigkeit auf drei Säulen: (1) der Steigerung des öffentlichen Bewußtseins für die Bedeutung chinesischer Schriftzeichen in der japanischen Sprache, (2) der Forschung zur kanji-Kultur und zum Japanischen und (3) der Steigerung der Fähigkeit in der Verwendung chinesischer Schriftzeichen. Zur Popularisierung chinesischer Schriftzeichen wird nunmehr seit 1995 an jedem 12. Dezember, dem von der Gesellschaft proklamierten „Tag des chinesischen Schriftzeichens“ (kanji no hi 漢字の日), in einer medienwirksamen Zeremonie am Kiyomizu-dera (清水寺), einem der beliebtesten buddhistischen Tempel Kyôtos, die jährliche Wahl verkündet. Dazu kalligraphiert der Vorstand (kansu / kanju 貫主) des Tempels, Mori Seihan 森清範, großflächig die Auswahl des Jahres. Diese Kalligraphien wiederum werden im Museum der Gesellschaft (kanji shiryôkan 漢字資料館) gesammelt und ausgestellt. Mit dem „Tag des chinesischen Schriftzeichens“ solle das Interesse an kanji vertieft und eine Gelegenheit geschaffen werden, über die tiefgründige Bedeutung der Schriftzeichen, die den Kern der japanischen Sprache darstellten, zu lernen. Außerdem wolle man generell das Verständnis für die japanische Kultur vertiefen. Die Auswahl jenes konkreten Datums eines „Tages des chinesischen Schriftzeichens“ ihrerseits, also des 12.12., erfolgte gemäß einer Eigenart in Japan, sich Zahlen über deren Lesung mittels einer „Eselsbrücke“ merken zu können und zugleich einen der Zahlenauswahl Sinn gebenden Gehalt zu transportieren (goroawase 語呂合わせ):
1 – 2 – 1 – 2 = いい字一字 = „ii ji ichiji“ als Motto des Tages, mit dem der Wunsch ausgedrückt wird, sich (mindestens) „ein Zeichen, ein schönes Zeichen“ pro Jahr zu merken;
Für das Jahr 2013 wählte man das Zeichen 輪 (rin / wa) mit der Bedeutung „Ring“, „Rad“ bzw. etwas „Rundes“. Die erfolgreiche Bewerbung Tôkyôs um die Olympischen Sommerspiele 2020, aber auch die Aufnahme des Berges Fuji und der ihn umgebenden Orte in die Liste des Weltkulturerbes seitens der UNESCO und die Qualifizierung der japanischen Mannschaft für die Fußballweltmeisterschaft 2014 hätten gezeigt, daß man durch ein Zusammenstehen, durch „Teamwork“, etwas erreichen könne. Gleiches gelte für die Bewohner der Tôhoku-Region, also des Nordostens Japans, mit deren Unterstützung die Tôhoku Rakuten Golden Eagles (東北楽天ゴールデンイーグルス) erstmals in ihrer Vereinsgeschichte im Jahr 2013 in der japanischen Baseballliga den Meistertitel erringen konnten. Außerdem habe man die Folgen der zahlreichen Naturkatastrophen, die 2013 das Land heimsuchten, dadurch überwinden könne, daß man zusammengestanden habe. Das Schriftzeichen dokumentiere zudem auch eine grenzüberschreitende Solidarität, wie sie sich beispielsweise in der Entsendung des bisher größten Kontingentes der japanischen Selbstverteidigungskräfte auf die Philippinen zu Rettungs- und Hilfsaktionen im Zuge der durch den Taifun Haiyan verursachten Zerstörungen äußere.
Golden hingegen erschien das Jahr 2012. Mit der Auswahl des Zeichens 金 (kin – kon / kane – kana) mit der Bedeutung „Geld“, „Gold“, „goldfarben“, „(Edel-)Metall“ wurde dieses kanji zum bisher einzigen, das bereits ein zweites Mal die Ereignisse eines Jahres repräsentiert. In vielerlei Bereichen seien monumentale Werke (kinjitô 金字塔) errichtet bzw. erreicht worden: ein wahrer Medaillenregen für die japanische Nationalmannschaft während der Olympischen Spiele in London mit ihrem bisher besten Ergebnis, die Fertigstellung eines wirklichen Monumentalbaus, des Tôkyô Skytree als dem mit 634 Metern höchsten freistehenden Fernsehturm der Welt, aber auch die Verleihung des Nobelpreises für Medizin an den Stammzellenforscher Yamanaka Shin’ya 山中伸弥. Nach 932 Jahren war erstmals wieder in weiten Teilen Japans eine ringförmige Sonnenfinsternis (kinkan nisshoku 金環日食) zu beobachten. Zudem haben im Juni der Transit der Venus (kinsei 金星) vor der Sonne und im August des Jahres die Venusverdeckung durch den Mond (kinseishoku 金星食) für besondere Aufmerksamkeit gesorgt. Mit Betrugsfällen bei der Verwaltung der Rentenfonds einiger Unternehmen, der Diskussionen über die Erhöhung der Mehrwertsteuer, einer steigenden Zahl von Fällen unrechtmäßigen Empfangs staatlicher Fürsorgeleistungen und den Verhandlungen über die Verwendung der Aufbauhilfe nach dem schweren Erdbeben im Osten Japans und seinen weitreichenden Folgen 2011 blieb generell „Geld“ darüber hinaus ein vorherrschender Aspekt im Bereich der Politik und Wirtschaft Japans.
Hier eine Übersicht der anderen, zwischen 1995 und 2011 bekanntgegebenen „kanji des Jahres“ und der Begründung ihrer Wahl, die zu einem kleinen „Ausflug“ in die jüngste japanische Geschichte einen willkommenen Anlass gibt:
- 1995: 震 (shin / furu[-u, ‑eru]) – Zittern: Das Hanshin-Awaji-Erdbeben (Hanshin・Awaji daishinsai 阪神・淡路大震災) im Januar und der Anschlag mit dem chemischen Kampfstoff Salin auf die U‑Bahn in Tôkyô durch die neue Religion „Ômu shinrikyô“ (Ômu shinrikyô no chikatetsu sarin jiken オウム真理教の地下鉄サリン事件) im März ließen dieses Jahr „erzittern“.
- 1996: 食 (shoku – ta[-beru]) – Essen: Eine Vielzahl von Korruptionsaffären (oshoku jiken 汚職事件), in denen Steuergelder und die Wohlfahrt ausgenutzt wurden (in der japanischen Sprache: kuimono ni suru 食い物にする), aber auch grundsätzliche Probleme der Lebensmittelsicherheit schienen mit der Ausbreitung des Rinderwahnsinns und Verunreinigungen durch Colibakterien dieses Jahr zu charakterisieren.
- 1997: 倒 (tô / tao[-su/-reru]) – Zusammenbruch: Das Jahr sei vom Konkurs (tôsan 倒産) führender Finanzunternehmen des Landes, wie z.B. der Yamaichi shokens (山一証券), aber auch durch das Besiegen (taosu 倒す) starker Gegner durch die japanische Fußballnationalmannschaft in der Qualifikation, die dann erstmals an einer Weltmeisterschaft teilnehmen konnte, geprägt worden. Daß das Team als Gruppenletzter dann bereits in der Vorrunde der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich ausschied, steht auf einem anderen (Kalender-)Blatt.
- 1998: 毒 (doku) – Gift: Als am 25. Juli des Jahres in der Präfektur Wakayama die Hausfrau Hayashi Masumi 林眞須美 anlässlich eines Sommerfestes in ihrer Nachbarschaft einen Topf mit japanischem Curry mit Arsen versetzte (Wakayama dokubutsu karê jiken 和歌山毒物カレー事件), an dessen Verzehr dann 4 Menschen starben und über 60 weitere Personen in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten, beherrschte dies die Schlagzeilen japanischer Medien, zumal Hayashi im Laufe des Jahres dann auch wegen anderer Morde, um an Gelder aus Lebensversicherungen zu kommen, und Mordversuche (u.a. an ihrem Ehemann) verhaftet werden konnte. Hinzu kamen Berichte über weitere Probleme der Lebensmittelsicherheit, die durch Dioxine und Umwelt-Hormone verursacht wurden.
- 1999: 末 (matsu / sue) – Ende: Wegen des Endes eines Jahrhunderts bzw. Jahrtausends wirkte dieses Schriftzeichen symbolisch. Nach dem Unfall in der Uran-Wiederaufbereitungsanlage von Tôkaimura (Tôkaimura no rinkai jiko 東海村の臨海事故) am 30. September des Jahres, aber auch durch eine Reihe von der Polizei zu verantwortender Skandale fand der zentrale Begriff eines buddhistischen Pessimismus vom „Weltenende“ (yo mo sue 世も末) wieder größere Verwendung. Zugleich verband man mit der Wahl dieses Schriftzeichens die Hoffnung auf ein Gedeihen bzw. Vorankommen (sue hirogari 末広がり) im folgenden Jahr.
- 2000: 金 (kin – kon / kane – kana) – Geld, Gold, goldfarben, (Edel-)Metall: Vor 2012 schien schon in diesem Jahr dieses Schriftzeichen wegen der Herausgabe neuer 500-Yen-Münzen und 2000-Yen-Scheine besonders geeignet. Zudem hatte man sich erhebliche Fortschritte in der Verbesserung der äußeren Sicherheit Japans im ostasiatischen Kontext und der generellen politischen Lage auf der koreanischen Halbinsel durch direkte Gespräche zwischen den beiden „Kims“, dem südkoraenischen Staatspräsidenten Kim Dae-jung 金大中 und dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-il 金正日, in der Hauptstadt Nordkoreas, Pjongjang, zwischen dem 13. und 15. Juni 2000 versprochen. Zugleich schien dieses Zeichen besonders geeignet, die japanischen Medaillengewinne bei den Olympischen Sommerspielen im australischen Sydney zu würdigen.
- 2001: 戦 (sen / ikusa – tataka[u]) – Kampf: Das Jahr sei ein „Jahr des Kampfes“ gewesen – gegen den Terrorismus wegen der Ereignisse in New York am 11. September, gegen BSE, mit der Restrukturierung großer Unternehmen und wachsender Arbeitslosigkeit wegen der Rezession, gegen starke Widerstände einer Strukturreform der Regierung Koizumi Jun’ichirôs 小泉純一郎 und ein Kampf der Außenministerin Tanaka Makiko 田中真紀子 gegen ihren Vizeminister, der zu ihrer Entlassung führte. Als positive Erscheinungsform des „Kampfes“ wertete man den Erfolg des Baseball-Spielers Suzuki Ichirô 鈴木一朗 / イチロー in der „Major League“ der USA und den damaligen Weltrekord der Marathon-Läuferin Takahashi Naoko (高橋尚子) mit 2:19:46 Stunden beim Berlin Marathon im September des Jahres.
- 2002: 帰 (ki / kae[-ru, ‑su]) – Rückkehr: Die japanische Wirtschaft erreichte wieder ihr Niveau vor dem Platzen der „Blase“. Lieder und Kinderlieder früherer Zeiten erlebten ihr Revival. Nach 24 Jahren besuchten erstmals 5 nach Nordkorea verbrachte Entführungsopfer wieder ihr Heimatland.
- 2003: 虎 (ko / tora) – Tiger: Nach 18 Jahren siegte wieder das Team der Hanshin Tigers (阪神タイガース) in der „Central League“ des japanischen Profi-Baseballs und vermittelte der Nation ein Gefühl, daß endlich etwas gelingen könne, strenge man sich nur an. Zugleich herrschte durch die Entsendung von Angehörigen der japanischen Selbstverteidigungskräfte in den Irak , die man als „Gang in die ‚Höhle des Löwen‘’“ (im Japanischen: „Höhle des Tigers“, koketsu ni iru 虎穴に入る) verstand, Unsicherheit. Damit setze man sich großen Gefahren aus, trete also quasi „dem Tiger auf den Schwanz“ (tora no o o fumu 虎の尾を踏む).
- 2004: 災 (sai / wazawai) – Katastrophe: Die scheinbare Häufung von natürlichen (tensai 天災) und menschenverursachten (jinsai 人災) Katastrophen ließ das Jahr als Katastrophenjahr erscheinen. Eine Welle von zehn Taifunen traf das Land. Neben einer großen Anzahl von kleineren und mittelschweren Erdbeben wurde die Region Chûetsu in der Präfektur Niigata von einem schweren Beben (Niigata-ken Chûetsu jishin 新潟県中越地震), das mehr als 65 Tote forderte, getroffen. Der Vulkan Asama 浅間山 an der Grenze der Präfekturen Nakano und Gunma, brach nach 21 Jahren im September des Jahres erneut aus. Der Sommer war rekordverdächtig heiß und verursachte große Schäden in der Landwirtschaft. Als Folge des militärischen Engagements Japans im Irak wurden zudem japanische Mitarbeiter zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Opfern von Entführungen. Im Inland häuften sich außerdem Mordfälle an Kindern. Im Kernkraftwerk Mihama (Mihama hatsudensho 美浜発電所) in der Präfektur Fukui verursachte ein Leck in der Turbinenhalle einen schweren Unfall, bei dessen Untersuchung weitere Sicherheitsmängel des Kraftwerkes aufgedeckt wurden.
- 2005: 愛 (ai) – Liebe: Neben der Hochzeit der Tochter des Tennô begeisterten andere Eheversprechen aus der Welt des Sports und der Unterhaltung das Land. Der „Boom einer reinen Liebe“ (im Sinne von aufrichtiger, altruistischer Liebe, jun’ai bûmu 純愛ブーム) hielt – abseits einer kalkulierenden, kommerzialisierten Form der Liebe – an und erfasste die Populärkultur. Große Erwartungen richteten sich auf die Tischtennisspielerin Fukuhara Ai 福原愛, die Golferin Miyazato Ai 宮里藍 und die Volleyballerin Ôtomo Ai 大友愛. Zugleich wurde die Frage, ob die Tochter des Kronprinzen, Aiko 愛子さま, würde als weiblicher Tennô (josei tennô 女性天皇) jemals den Thron besteigen können, diskutiert. Außerdem erschütterten Verbrechen, wie Morde an kleinen Schulkindern und die zunehmende Brutalität in der Jugendkriminalität, aber auch der Skandal um die gefälschten Nachweise der Erdbebenfestigkeit von Apartmenthäusern – Zwischenfälle, in denen es an Liebe gefehlt habe, wie es in der Begründung heißt – die japanische Öffentlichkeit.
- 2006: 命 (mei – myô / inochi) – Leben: Verschiedene Erscheinungsformen des „Lebens“ kennzeichneten dieses Jahr: „Geborenes Leben“ (umareta inochi 生まれた命), hier vor allem die Geburt des Sohnes des jüngsten Sohnes des Tennô, des Prinzen Akishino Fumihito (Akishino no miya Fumihito shinnô 秋篠宮文仁親王), mit dem nach 41 jahren erstmals wieder ein männliches Kind in die kaiserliche Familie geboren wurde und dem man den Namen Hisahito 悠仁親王 gab; „beendetes Leben“ (tatareta inochi 絶たれた命) mit dem sozialen Phänomen des Freitods von Schülern und Schülerinnen, die durch ihre Klassenkameraden und ‑kameradinnen geqüalt wurden bzw. von Schulleitern, die ihre Tätigkeit aufgegeben hatten, um für die Fälle von Quälereien die Verantwortung zu übernehmen; „geraubtes Leben“ (ubawareta inochi 奪われた命) mit einer Zunahme von Unfällen unter Alkoholeinfluß und Morden durch Mißhandlungen, aber auch der Fälle, in denen Haustiere beseitigt wurden; schließlich eine „wachsende Unsicherheit des Lebens“ (fukuramu inochi no fuan 膨らむ命の不安) durch die Atomwaffentests Nordkoreas, die Explosion der Arztkosten für Ältere, eine zu geringe Zahl von Ärzten und die Problematik der Organtransplantation.
- 2007: 偽 (gi / itsuwa[-ru]) – nise) – Fälschung: Fälschungen des Produktionsortes, der Inhaltsstoffe und der Mindesthaltbarkeit bei Lebensmitteln aller Art sowie von Souvenirs und von Speisen in alteingesessenen Restaurants, Unregelmäßigkeiten in den Rentenregistern, in den Ämtern durch schwarze Kassen und bei den für politische Aktivitäten vorgesehenen Geldmitteln, bei der Betankung US-amerikanischer Kriegsschiffe, im Bereich des Sports und in Wirtschaftsunternehmen beeinflußten den Blick auf das Jahr 2007.
- 2008: 変 (hen / ka[-waru, ‑eru]) – Wechsel, Wandel, Veränderung: Mit der Wahl Barak Obamas zum Präsidenten der USA schien sich ein wirklicher „Change“ abzuzeichnen. Der ständige Wechsel japanischer Ministerpräsidenten nach nur kurzer Amtszeit fiel gleichfalls ins Auge. Die Klimaveränderungen aber auch die Finanzkrise mit ihren einschneidenden Störungen der Weltwirtschaft bewirkten einen verunsichernden Wandel. Positiver wirkten die Erfolge japanischer Sportler und Sportlerinnen sowie japanischer Wissenschaftler, die für die Zukunft eine positive Veränderung erwarten ließen.
- 2009: 新 (shin / atara[-shii] – arata – nii – sara) – Neues: Mit dem Regierungswechsel von der Liberaldemokratischen zur Demokratischen Partei und einem beginnenden innerjapanischen Reformprozeß in der Verwaltung schien sich eine neue Zeit anzukündigen. Gleiches gilt für die Erwartungen, die mit dem Amtsantritt Barak Obamas als US-amerikanischer Präsident verbunden wurden. Neue Rekorde im Bereich des Sports, etwa durch den Baseballspieler Ichirô, den Leichtathleten Usain Bolt oder in Schwimmwettbewerben, begeisterten die japanische Öffentlichkeit. Negativ wirkte eine neue Form der Grippe mit einer geradezu epidemischen Ausbreitung sowie die dramatischen Neuerungen der weltwirtschaftlichen Entwicklung. Die Einführung des Schöffensystems im japanischen Rechtswesen (saiban’in seido 裁判員制度) und ein sich schärfender Blick für ökologische Fragen ihrerseits wirkten neu und positiv.
- 2010: 暑 (sho / atsu[-i]) – Hitze: Kennzeichnend für dieses Jahr war eine große Sommerhitze mit ihren Folgen für die Gesundheit der Menschen mit zahlreichen Patienten, die Hitzeschläge erlitten, aber auch mit Folgen für die Geldbörsen der japanischen Bevölkerung wegen gestiegener Stromkosten durch die dauerhafte und unvermeidbare Nutzung von Klimaanlagen und Ventilatoren. Beeindruckt zeigte man sich in Japan zudem davon, daß in Chile 33 Bergarbeiter in 700 Meter Tiefe 70 Tage auch die große Hitze unter Tage bis zu ihrer Rettung ausgehalten hatten. Mit dem erfolgreichen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre hatte zudem die japanische Sonde „Hanabusa“ (はなぶさ, = Wanderfalke) ohne größere Schäden eine Hitze von etwa 10.000°C ausgehalten und erstmals Elementarteilchen eines Asteroiden zur wissenschaftlichen Untersuchung auf der Erde sichern können.
- 2011: 絆 (han – ban / kizuna – hodasu) – Band, Verbindung: Natur- und Umweltkatastophen zeigten in vielen Bereichen, wie wichtig die Verbindung mit anderen Menschen ist. Das Erdbeben im Osten Japans vom 11. März 2011 brachte familiäre Bande und die Verbundenheit zum Freundeskreis wieder in Erinnerung und steigerte zugleich die Bedeutung sozialer Netzwerke (SNS). Zudem kämpften sich trotz des Zusammenbruchs der Verkehrsnetze und lebenswichtiger Versorgungsnetze Freiwillige – aus ganz Japan und der Welt – in das Katastrophengebiet vor, um durch spontane Hilfe ihre Verbundenheit mit der von den Katastrophen getroffenen Bevölkerung zu zeigen. Die Suche nach und das Bemühen um den Erhalt von Partnerschaften drückte sich in der Zunahme der Eheberatungen, aber auch kommerziell in einem wachsenden Verkauf von Eheringen aus.
Vor dem bei seinem Amt akkreditierten Pressecorps erklärte Ministerpräsident Abe Shinzô 安倍晋三 am 12. Dezember 2013 noch vor der Verkündung der tatsächlichen Wahl, sein persönlicher Favorit für das „Schriftzeichen des Jahres“ sei „yume“ – 夢 – der „Traum“. Mit der erfolgreichen Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele 2020 habe sich gezeigt, daß sich ein Traum verwirkliche, wenn alle sich anstrengten. Darüber hinaus hätte auch seine Wirtschaftspolitik, die unter dem Namen „Abenomics“ weltweit Aufsehen erregt, ihr Ziel erreicht. Die Aktienpreise stiegen und im Vergleich zu 2012 habe sich die Atmosphäre verändert. Man dürfe für das Folgejahr weitere Erfolge erwarten.
Hatte er 2006, in seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident, die Frage nach seinem persönlichen „kanji des Jahres“ noch mit einer Kombination aus zwei chinesischen Schriftzeichen, zunächst der für „Wandel“ (henka 変化) und dann auf Nachfrage, ob er das auch in einem Schriftzeichen ausdrücken könne, mit der für „Verantwortung“ (sekinin 責任) beantwortet, beschränkte er sich 2013 tatsächlich nur auf ein chinesisches Schriftzeichen. Es ist ihm und der japanischen Bevölkerung zu wünschen, daß sich die mit diesem Zeichen verbundenen Wünsche auf eine anhaltende stabile wirtschaftliche Entwicklung erfüllen und nicht wie Seifenblasen zerplatzen. Aber nach einem persönlich als schwierig empfundenen Jahr 2013 möchte ich uns allen ohne Arg die Erfüllung unserer Träume – zumindest solcher, die nicht auf Kosten anderer, wohl aber unabhängig davon, in welchem Bereich und in welchem Teil der Erde sie geträumt werden – wünschen.