Ich denke, es gehört zu den praktischen Erfahrungen eines jeden wissenschaftlich Arbeitenden, daß man im Fertigstellungsprozeß eines Projektes – von der ersten Idee bis zur Vorlage eines abgeschlossenen Manuskripts – Stimmungsschwankungen, von relativer Verzweiflung bis hin zu nahezu euphorischen Zuständen, durchlebt. Dies gilt sicher allemal dann, wenn man diese Form der Arbeit mehr als Vergnügen denn als leidige Pflicht versteht.
So ging es mir dann auch bei der Arbeit an einem Text zu den sogenannten „Takeuchi-Dokumenten“ (Takeuchi monjo 竹内文書, auch Take(no)uchi bunken 竹内文献), auf die ich anfangs tatsächlich erstmals durch die Lektüre eines japanischen Kriminalromans, der „Legende von Liebe und Tod“ (Ai to shi no densetsu 愛と死の伝説) von Nishimura Kyôtarô 西村京太郎, aufmerksam wurde. Diese inzwischen nur noch teilweise und dann ausschließlich in Abschriften vorliegenden Dokumente bilden den zentralen Textkorpus einer japanischen sogenannten „neuen Religion“ (shin-shûkyô 新宗教), der „Religion des Himmels“ (amatsu-kyô 天津教), die in der Tradition der autochthonen Religion Japans, des Shintô 神道, steht. Da in absehbarer Zeit dazu ein wissenschaftlicher Aufsatz von mir vorliegen dürfte und zudem gegenwärtig ein englischsprachiges Manuskript zu dieser im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert entstandenen Spielart im Kontext des japanischen Nationalismus von mir vorbereitet wird, will ich mich auf diese Einordnung beschränken.
Von der wissenschaftlichen Forschung noch nicht in großem Umfang beachtet, gestaltete sich das Auffinden brauchbarer Literatur hierzu besonders schwierig und führte gelegentlich zu den eingangs genannten Stimmungsschwankungen. Umso mehr erfreute es mich, als die englischsprachige, japanische Tageszeitung „The Japan Times“ passend zum Weihnachtsfest, am 25.12.2011, wenngleich auch Monate nach Vorlage des ersten Manuskripts, über einen zentralen Bestandteil der in den Takeuchi-Dokumenten verbreiteten Lehre, der „Jesus in Japan“-Tradition, berichtete. Ebenso wie die islamische Ahmadiyya-Bewegung des Mahdi Mirza Ghulam Ahmad (1835–1908) ein Leben und Sterben Jesu in Srinagar, im indischen Bundesstaat Jammu und Kashmir, annahm, gibt es auch im japanischen Dorf Shingô 新郷村 im südlichen Teil der Präfektur Aomori, ein Jesus-Grab. Jesus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern nach Japan, wo er in seiner Jugend wie andere Religionsstifter auch ausgebildet worden sei, gereist. Dort habe er eine Familie gegründet und sei im Alter von 106 Jahren verstorben.
Am 5. Juni 2012 ergänzte die Zeitung „The Japan Times“ ihre Berichterstattung mit der Meldung, in Shingô habe am ersten Juni-Wochenende um das mutmaßliche Jesus-Grab herum ein seit 1963 jährlich veranstaltetes Fest, das „Christus-Fest“ (Kirisuto matsuri キリスト祭り), stattgefunden, dem etwa 500 Touristen beiwohnten. Damen, in Kimono gekleidet, tanzten im Kreis den bon-Tanz, während sie dazu „nanyadoyara“ sangen – ein Ausspruch, dessen Bedeutung heute allen Anwesenden gleichermaßen unbekannt ist, auch wenn man versucht, Synonyme in der hebräischen Sprache zu finden.