Anfang Juni veröffentlichte die japanische Regierung durch ihr Kabinettsbüro ihr „Weißbuch der Maßnahmen gegen Selbstmord“ (jisatsu taisaku hakusho 自殺対策白書) für das Jahr 2011 (Heisei 23). Dieser Statistik zufolge nahmen sich 2011 30.651 Menschen in Japan das Leben. Im Vergleich zu der statistischen Erhebung des Vorjahres bedeutet dies eine Reduzierung der Freitode um ca. 3,3% (2010: 31.690). Erstmals nach 14 Jahren sei somit die jährliche Anzahl der Selbstmorde in Japan wieder unter 31.000 gesunken. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) belegen, daß Japan unter den acht führenden Industrienationen der Welt hinter Rußland die zweithöchste durchschnittliche Selbstmordrate auf 100.000 Einwohner zu verzeichnen hat.
Was nun aber gegenwärtig der Regierung Sorgen bereitet, ist der sprunghafte Anstieg der Selbstmordfälle im zweiten Quartal 2011. Im April nahmen sich 2711 (2010: 2585), im Mai 3375 (2010: 2782) und im Juni 3037 Menschen (2010: 2780) das Leben. Wurde im vergangenen Jahr noch etwa der Freitod des Erotikmodells (gurabia aidoru グラビアアイドル) und TV-„Sternchens“ Uehara Miyu (上原美優, 1987–2011) am 12.05.2011 dazu herangezogen, die untypisch ansteigende Selbstmordrate im zweiten Quartal 2011 in der Altersgruppe der 20- bis 30-jährigen Frauen zu erklären, steht nunmehr die „Erdbebenkatastrophe im Osten Japans“ (Higashi-Nihon daishinsai 東日本大震災) vom 11.03.2011 im Fokus der Analyse.
Die sich mit der Katastophe noch zusätzlich verschärfende soziale und wirtschaftliche Unsicherheit habe nicht etwa in den vom Erdbeben, der Flutwelle und der Atomkatastrophe besonders betroffenen Landesteilen Miyagi, Iwate, Fukushima und Ibaraki, sondern auf nationaler Ebene zu einem Anstieg der Selbstmordrate in diesem Quartal geführt. Auch wenn die Zahlen ab dem dritten Quartal dann wieder weitgehend unter das Vorjahresniveau fielen bzw. dieses nur geringfügig überstiegen, wird abzuwarten sein, wie sie sich zukünftig entwickeln werden.
Als besondere Maßnahme der Regierung gegen einen Anstieg der Freitode in den von der Katastrophe besonders betroffenen Regionen wurde in Zusammenarbeit mit dem „National Center of Neurology and Psychiatry“ (NCNP) ein spezielles Magazin, das „Heft für Erleichterung und Ruhe“ (hotto anshin techô ほっと安心手帳), erarbeitet, das in drei Ausgaben in den Krisenregionen verteilt wurde. Für Ausländer hielt man zudem einen „Guide for Good Mental Health for Those affected by Natural Disasters“ bereit. Unter Vermeidung der Nennung der im Kabinettsbüro speziell für die Implementierung von Maßnahmen gegen Selbstmord zuständigen Abteilung (naikaku-fu jisatsu taisaku suishin-shitsu 内閣府自殺対策推進室) als eigentlicher Herausgeberin der Publikation und des Begriffs „Freitod“ in den Heften selbst, um die Leserschaft nicht zu verunsichern, versuchte man so eine psychische Stabilisierung der von der Katastrophe Betroffenen zu erreichen.