Neben der Berichterstattung über eine Vielzahl verheerender Naturereignisse in Japan dürfte 2019 als das Jahr in der kollektiven Erinnerung bleiben, in dem nach über 200 Jahren wieder ein japanischer Kaiser abdankte und der Thron ohne den vorhergehenden Tod eines Monarchen auf den Thronerben überging. Zahlreiche Zeremonien läuteten dieses Thronwechsel nicht nur ein, sondern flankierten ihn bis zum heutigen Tag. Es überrascht deshalb nicht, daß dieser als Prozess zu verstehende Thronwechsel auch die Aufmerksamkeit deutschsprachiger Medien auf sich zog. Weiterlesen
Schlagwort-Archive: Religionsgeschichte
Am 3. und 4. November 2018 findet an der Japanologie der Universität Leipzig die 32. Tagung der „Initiative zur historischen Japanforschung“, deren Programm gerade veröffentlicht wurde, statt. Bis 20. Oktober sind Anmeldung zu dieser kostenfreien Tagung möglich.
Dort werde ich einen Vortrag zu „Ex oriente lux – Über das Narrativ eines Lebens und Sterbens von Moses und Jesus Christus in Japan“ halten. Neben einem Moses-Grab in Hôdatsu-Shimizu in der Präfektur Ishikawa findet sich in Japan auch ein Christus-Grab im Dorf Shingo in der Präfektur Aomori. Deren mutmaßliche „Entdeckungen“ in den 1930er Jahren sind nicht etwa in einem christlichen Kontext verständlich, sondern einem größeren Korpus von Texten und Artefakten, den Takeuchi-Dokumenten (Takeuchi monjo 竹内文書), geschuldet, von denen eine breitere japanische Öffentlichkeit in den 1920er Jahren Kenntnis erhielt. Dieser Textkorpus lieferte die Begründung für eine, den durch die Machthaber propagierten Überzeugungen der Zeit völlig zuwiderlaufende „Reichsgeschichte“ Japans, die sich aufgrund ihrer Inhalte weit eher als „Weltgeschichte“ offenbarte. Die etwa 4000 Texte und Artefakte präsentierten sich als ein Kompendium von Dokumenten und Gegenständen, das die gesamte Spanne der japanischen Geschichte, von der Schöpfung der Welt bis in die Anfangsjahre der Meiji-Zeit, abzudecken schien. Neben Aufzeichnungen auf Baumrinde, Leder oder Papier gehörten zu der Sammlung ebenso Steine mit verschiedenen, vornehmlich in „Schriftzeichen der Götterzeit“ (kamiyo moji, auch jindai moji 神代文字) ausgeführten Inschriften. Als heilige Schriften einer in Shintô-Tradition stehenden Neuen Religion (shintô-kei shin-shûkyô 神道系新宗教) lassen sich die Takeuchi-Dokumente in ihrer religions- und politikwissenschaftlichen Exegese unter dem Dach des religiösen Fundamentalismus und Nationalismus, hier des Shintô-Nationalismus, verorten. In meinem Vortrag werde ich unter besonderer Berücksichtigung einer „Moses & Jesus in Japan“-Legende das Augenmerk auf die Inhalte der Dokumente, die gleichwohl weitgehend als Fälschungen zu klassifizieren sind, sowie auf die Entstehung der organisatorischen Struktur dieser heute noch bestehenden Neuen Religion und ihre auch zeitgenössisch strafrechtlich relevante Geschichte bis 1945 richten.
Am 9. Juni 2018 findet von 17:00 bis 24:00 Uhr in Potsdam & Berlin die „Lange Nacht der Wissenschaften“ statt. Die Japanologie der Freien Universität Berlin ist mit einem Programm unter dem Titel „Japan – fernab von Fukushima“ mittendrin. Im Rahmen dieses Programms bin ich mit zwei Vorträgen vertreten:
Von 17:00 bis 18:00 Uhr spreche ich zu Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren (und zu Personen mit kindlichem Gemüt) über „Samurai – die ‚Ritter‘ Japans“ (Freie Universität Berlin, Holzlaube, Raum OG, 1.2051).
Was sollte einem in den Sinn kommen, wenn man von Samurai hört? Kämpfer? Ritter? Die Samurai waren viel mehr! Sie waren Gelehrte, Dichter und Beamte. Von ihren Aufgaben, ihrem Leben und ihrer Bedeutung in der japanischen Geschichte handelt dieser Vortrag.
Von 22:00 bis 23:00 Uhr halte ich einen Vortrag unter dem Titel „ ‚Gast bin ich in fremdem Land‘ − Das Narrativ über Leben und Sterben von Moses und Jesus Christus in Japan“ (Freie Universität Berlin, Holzlaube, Raum OG, 1.2051).
In Japan befinden sich ein Moses-Grab und ein Grab Christi. Was führte zur Entdeckung dieser Gräber? In diesem Vortrag werden religions- und politikwissenschaftlich heilige Schriften einer Religion analysiert, deren Ziel sich in den 1930er Jahren auf eine Japanisierung des Christentums im Kontext der Geschichte Japans richtete.
Ich habe in den letzten Tagen intensiv an der „Bibliographie zur historischen Japanforschung“ gearbeitet. Inzwischen stehen in diesem frei zugänglichen Internettool mehr als 1600 bibliographische Datensätze deutschsprachiger Publikationen zur japanischen Geschichte für die Recherche zur Verfügung.
Vor einiger Zeit habe ich für die Festschrift von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Seifert (Universität Heidelberg) anläßlich seiner Pensionierung einen Text zur „Jesus in Japan“-Tradition im Kontext des Shintô-Nationalismus verfaßt, der nun erschienen ist. Die Grundlage für dieses Manuskript bildeten erste Ergebnisse meiner Forschung zu den sogenannten „Takeuchi-Dokumenten“ (Takeuchi monjo 竹内文書) als einem von Takeuchi Kiyomaro 竹内巨麿 (1874/5(?)-1965) am Übergang der Taishô- zur Shôwa-Zeit, also in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, präsentierten Korpus von Texten und Artefakten. Einer der Kerninhalte dieses Korpus begründete eine „Jesus in Japan“-Tradition, nach der Jesus Christus nicht etwa am Kreuz starb, sondern vor der Hinrichtung nach Japan flüchtete und sich im Norden des Landes, in der heutigen Präfektur Aomori 青森県, ansiedelte. Im März 2014 hatte ich die Gelegenheit, das angebliche „Grab Christi“ (Kirisuto no haka キリストの墓) im Dorf Shingô 新郷 zu besuchen. Über diese Reise, deren Motivation und Hintergründe habe ich schon an anderer Stelle berichtet. In dem nun publizierten Text untersuche ich die „Takeuchi-Dokumente“ im Kontext der Biographie ihres „Entdeckers“ vor dem Hintergrund der Geschichte Japans in der Moderne und gehe den Wurzeln jener „Jesus in Japan“-Tradition als einem der Kernelemente des Textkorpus nach. Die Inhalte dieser Dokumente, mit denen die „Reichsgeschichte“ Japans seit der Ur- und Frühgeschichte zu einer „Weltgeschichte“ überhöht wird, sind so reichhaltig, daß ich sie in zukünftigen Publikationen weiter analysieren werde. Jetzt erschienen ist:
★ Sprotte, Maik Hendrik (2015): „Christus kam nur bis Japan. Takeuchi Kiyomaro (1874—1965) und seine ‚Universalisierung‘ des Shintô.“ In: Zachmann, Urs Matthias/ Uhl, Christian (Hg.): Japan und das Problem der Moderne. Wolfgang Seifert zu Ehren. München: Iudicium, S. 376—393.
Einleitung
Erschrecken Sie bitte nicht. Ich habe nicht die Absicht, mich in diesem Beitrag jener Frage des Gretchens zuzuwenden, die Goethe im „Faust“ dieser in den Mund legte: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Privates darf privat bleiben; Glaubensfragen werden nur am Rande berührt – zumindest soweit sie meine persönlichen religiösen Überzeugungen betreffen. Ein Glaubensbekenntnis möchte ich weder abgeben noch verlangen. Meine Absicht ist es vielmehr nur, von einer Reise zu berichten, die mich schon vor mehreren Monaten, Anfang März 2014, in den Norden Japans, in das Dorf Shingô 新郷 im Süden der Präfektur Aomori 青森県, auf den Spuren einer japanischen Jesus-Legende zu einem Grab führte, das angeblich das „Grab Christi“ (Kirisuto no haka キリストの墓) sein soll. Dieses Grab steht dennoch nicht etwa in einem christlichen Kontext, sondern sollte bei seiner „Entdeckung“ im Jahr 1935 Glaubensinhalte einer neuen, in Shintô-Tradition stehenden Religion (shintô-kei shin-shûkyô 神道系新宗教) stützen, deren Exegese dazu veranlaßt, diese Religion in einer Kombination aus religions- und politikwissenschaftlicher Analyse unter dem Dach des religiösen Nationalismus, hier des Shintô-Nationalismus, zu verorten. Weiterlesen
Zweifelsohne gehören die buddhistischen Heiligtümer Naras zu den beliebtesten Zielen japanischer wie ausländischer Touristen. Ganz oben auf der Liste der Tempel, die gerne besucht werden, dürfte der Tôdai-ji (東大寺) stehen. In seiner Haupthalle steht die über 16 Meter hohe Statue des Buddha Vairocana aus dem 8. nachchristlichen Jahrhundert. Aber auch eines der Nebengebäude, die „Halle der Lotus-Sutra“ (Hokke-dô 法華堂), auch: die „Halle des dritten Monats“ (San-gatsu-dô 三月堂) als ältester Teil des Tempels mit seinem Verweis in der Namensgebung auf den Monat, der nach dem „alten [Lunisolar-] Kalender“ (kyûreki 旧暦) besonders der Rezitation der Lotus-Sutra gewidmet ist, beherbergt eine besondere Sehenswürdigkeit: die Amoghapasa-Statue (fukû kenjaku Kannon ritsuzô 不空羂索観音立像), ebenfalls aus dem 8. Jahrhundert, der wie so vielen anderen religiösen Kunstgegenständen im Besitz des Tôdai-ji der Status eines „nationalen Schatzes“ (kokuhô 国宝) verliehen wurde. Dargestellt ist eine 8‑armige Manifestation des weiblichen Boddhisattva des Mitgefühls, der Kannon, die in ihrer ursprünglich männlichen Erscheinung [in Indien] als Avalokiteshvara zu den zentralen Protagonisten der Lotus-Sutra – als eines der zentralen Texte des Mahayana-Buddhismus – gehört. Mit ihrem zweiten Armpaar [von unten] hält sie ein Seil, auf das schon der Begriff kenjaku 羂索 im Namen der Statue verweist und mit dem die Kannon allen Lebewesen Beistand, Hilfe und Führung anbietet.
Im Herbst des vergangenen Jahres berichteten nahezu alle führenden Tageszeitungen Japans von überraschenden Erkenntnissen, die sich durch eine eingehende Untersuchung des Diadems (hôkan 宝冠) dieser Kannon-Statue durch einen Materialkundler und eine Glasexpertin ergeben hatten. Die Statue selbst mit einer Höhe von etwa 3,6 Metern war in das Museum des Tôdai-ji überführt worden, um eine Restaurierung ihrer Basis zu ermöglichen. Bei dieser Gelegenheit hatte man auch das Diadem entfernt, um es zu reinigen und möglichst an sein ursprüngliches Aussehen anzunähern. Weiterlesen