Haben Sie nicht vielleicht auch den Eindruck, als sei das Jahr 2014, wenn auch noch wenige Wochen verbleiben, besonders schnell vergangen? Fast kommt es mir vor, als habe ich erst „gestern“ von der Wahl eines „Schriftzeichen des Jahres“ (kotoshi no kanji 今年の漢字) – da aber für das Jahr 2013 – als verkürzte Bilanz eines Jahreslaufs und den Modus seiner Auswahl berichtet. Heute wurde nun bereits das für das Jahr 2014 repräsentative Schriftzeichen gekürt. Es ist das 20. seiner Art. Die Wahl fiel auf das Schriftzeichen 税 mit den Lesungen zei - sei / mitsugi sowie der Bedeutung „Steuer“. Vor allem die Erhöhung (zôzei 増税) der Verbrauchssteuer (shôhi-zei 消費税) zum 1. April diesen Jahres, übrigens erstmals seit 1997, von 5% auf 8%, aber auch die Verschiebung einer ursprünglich für den 1. Oktober 2015 geplanten zweiten Anhebung auf 10% führten zum Votum für dieses Schriftzeichen. Die Anhebung der Verbrauchssteuer stelle durch eine Verteuerung von Waren des täglichen Bedarfs, der Transportkosten (für Taxis, Bahnen und Busse) und der Gebühren öffentlicher Versorgungsunternehmen für Strom, Gas und Wasser eine Belastung für die Haushaltsführung dar und habe dadurch einen großen Einfluß auf die Lebensweise der Japanerinnen und Japaner erlangt. Damit verwies es die Schriftzeichen netsu / atsu[i] – hate[ru] – iki[ru] – hotobori 熱 (= Hitze, auch Eifer bzw. Enthusiasmus) und kyo / fu{ku] – ha[ku] – uso 嘘 (= Lüge) auf den zweiten bzw. dritten Platz. Weiterlesen
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Einleitung
Erschrecken Sie bitte nicht. Ich habe nicht die Absicht, mich in diesem Beitrag jener Frage des Gretchens zuzuwenden, die Goethe im „Faust“ dieser in den Mund legte: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Privates darf privat bleiben; Glaubensfragen werden nur am Rande berührt – zumindest soweit sie meine persönlichen religiösen Überzeugungen betreffen. Ein Glaubensbekenntnis möchte ich weder abgeben noch verlangen. Meine Absicht ist es vielmehr nur, von einer Reise zu berichten, die mich schon vor mehreren Monaten, Anfang März 2014, in den Norden Japans, in das Dorf Shingô 新郷 im Süden der Präfektur Aomori 青森県, auf den Spuren einer japanischen Jesus-Legende zu einem Grab führte, das angeblich das „Grab Christi“ (Kirisuto no haka キリストの墓) sein soll. Dieses Grab steht dennoch nicht etwa in einem christlichen Kontext, sondern sollte bei seiner „Entdeckung“ im Jahr 1935 Glaubensinhalte einer neuen, in Shintô-Tradition stehenden Religion (shintô-kei shin-shûkyô 神道系新宗教) stützen, deren Exegese dazu veranlaßt, diese Religion in einer Kombination aus religions- und politikwissenschaftlicher Analyse unter dem Dach des religiösen Nationalismus, hier des Shintô-Nationalismus, zu verorten. Weiterlesen
Seit 1995 wird es in Japan ermittelt – das chinesische „Schriftzeichen des Jahres“ (kotoshi no kanji 今年の漢字). Als gemeinnützige Stiftung wirbt die „Japanische Gesellschaft zur Überprüfung der kanji-Fähigkeit“ (Nihon kanji nôryoku kentei kyôkai 日本漢字能力検定協会) jährlich Vorschläge für ein chinesisches Schriftzeichen (kanji 漢字) ein, dessen Bedeutung die Entwicklungen eines Jahres am besten widerspiegele. Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Kyôto und gründet ihre Tätigkeit auf drei Säulen: (1) der Steigerung des öffentlichen Bewußtseins für die Bedeutung chinesischer Schriftzeichen in der japanischen Sprache, (2) der Forschung zur kanji-Kultur und zum Japanischen und (3) der Steigerung der Fähigkeit in der Verwendung chinesischer Schriftzeichen. Zur Popularisierung chinesischer Schriftzeichen wird nunmehr seit 1995 an jedem 12. Dezember, dem von der Gesellschaft proklamierten „Tag des chinesischen Schriftzeichens“ (kanji no hi 漢字の日), in einer medienwirksamen Zeremonie am Kiyomizu-dera (清水寺), einem der beliebtesten buddhistischen Tempel Kyôtos, die jährliche Wahl verkündet. Dazu kalligraphiert der Vorstand (kansu / kanju 貫主) des Tempels, Mori Seihan 森清範, großflächig die Auswahl des Jahres. Diese Kalligraphien wiederum werden im Museum der Gesellschaft (kanji shiryôkan 漢字資料館) gesammelt und ausgestellt. Mit dem „Tag des chinesischen Schriftzeichens“ solle das Interesse an kanji vertieft und eine Gelegenheit geschaffen werden, über die tiefgründige Bedeutung der Schriftzeichen, die den Kern der japanischen Sprache darstellten, zu lernen. Außerdem wolle man generell das Verständnis für die japanische Kultur vertiefen. Die Auswahl jenes konkreten Datums eines „Tages des chinesischen Schriftzeichens“ ihrerseits, also des 12.12., erfolgte gemäß einer Eigenart in Japan, sich Zahlen über deren Lesung mittels einer „Eselsbrücke“ merken zu können und zugleich einen der Zahlenauswahl Sinn gebenden Gehalt zu transportieren (goroawase 語呂合わせ):
1 – 2 – 1 – 2 = いい字一字 = „ii ji ichiji“ als Motto des Tages, mit dem der Wunsch ausgedrückt wird, sich (mindestens) „ein Zeichen, ein schönes Zeichen“ pro Jahr zu merken;
Für das Jahr 2013 wählte man das Zeichen 輪 (rin / wa) mit der Bedeutung „Ring“, „Rad“ bzw. etwas „Rundes“. Die erfolgreiche Bewerbung Tôkyôs um die Olympischen Sommerspiele 2020, aber auch die Aufnahme des Berges Fuji und der ihn umgebenden Orte in die Liste des Weltkulturerbes seitens der UNESCO und die Qualifizierung der japanischen Mannschaft für die Fußballweltmeisterschaft 2014 hätten gezeigt, daß man durch ein Zusammenstehen, durch „Teamwork“, etwas erreichen könne. Gleiches gelte für die Bewohner der Tôhoku-Region, also des Nordostens Japans, mit deren Unterstützung die Tôhoku Rakuten Golden Eagles (東北楽天ゴールデンイーグルス) erstmals in ihrer Vereinsgeschichte im Jahr 2013 in der japanischen Baseballliga den Meistertitel erringen konnten. Außerdem habe man die Folgen der zahlreichen Naturkatastrophen, die 2013 das Land heimsuchten, dadurch überwinden könne, daß man zusammengestanden habe. Das Schriftzeichen dokumentiere zudem auch eine grenzüberschreitende Solidarität, wie sie sich beispielsweise in der Entsendung des bisher größten Kontingentes der japanischen Selbstverteidigungskräfte auf die Philippinen zu Rettungs- und Hilfsaktionen im Zuge der durch den Taifun Haiyan verursachten Zerstörungen äußere. Weiterlesen