Gemeinsam mit Dr. Tino Schölz organisiere ich ein Panel, das wir während des 16. Deutschsprachigen Japanologentags, der vom 26. bis 28. August 2015 an der Universität München stattfinden wird, mit thematisch ausgewiesenen Kollegen veranstalten werden. Unter dem Titel: „Gewalt und Zivilität – Protestformen im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ werden wir der Leitfrage nachgehen, inwieweit sozialer Protest in Japan – sowohl hinsichtlich der Legitimation als auch der sozialen Praxis – im Verlauf des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bezug auf Gewalt und Zivilität einem historischen Wandel unterlag.
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Einleitung
Erschrecken Sie bitte nicht. Ich habe nicht die Absicht, mich in diesem Beitrag jener Frage des Gretchens zuzuwenden, die Goethe im „Faust“ dieser in den Mund legte: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?“ Privates darf privat bleiben; Glaubensfragen werden nur am Rande berührt – zumindest soweit sie meine persönlichen religiösen Überzeugungen betreffen. Ein Glaubensbekenntnis möchte ich weder abgeben noch verlangen. Meine Absicht ist es vielmehr nur, von einer Reise zu berichten, die mich schon vor mehreren Monaten, Anfang März 2014, in den Norden Japans, in das Dorf Shingô 新郷 im Süden der Präfektur Aomori 青森県, auf den Spuren einer japanischen Jesus-Legende zu einem Grab führte, das angeblich das „Grab Christi“ (Kirisuto no haka キリストの墓) sein soll. Dieses Grab steht dennoch nicht etwa in einem christlichen Kontext, sondern sollte bei seiner „Entdeckung“ im Jahr 1935 Glaubensinhalte einer neuen, in Shintô-Tradition stehenden Religion (shintô-kei shin-shûkyô 神道系新宗教) stützen, deren Exegese dazu veranlaßt, diese Religion in einer Kombination aus religions- und politikwissenschaftlicher Analyse unter dem Dach des religiösen Nationalismus, hier des Shintô-Nationalismus, zu verorten. Weiterlesen
Im Oktober 2010 schlugen in Japan die Wellen hoch, als der öffentlich-rechtliche Fernsehsender NHK in einer Dokumentation mit dem Titel „Japan, das ‚Atombomben‘ zu besitzen wünschte: die unbekannte Wahrheit über das Land, das zum Opfer von Atombomben wurde“ (‚kaku‘ o motometa Nihon: hibakukoku ga shirarezaru shinjitsu 「核」を求めた日本 - 被爆国が知られざる真実) ein Memorandum aus dem Jahr 1969 vorstellte, in dem der SPD-Politiker Egon Bahr, damals Leiter des Planungsstabes des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik, über die ersten Konsultationen des Stabes mit seinem Pendant in Tôkyô berichtete und dabei streng vertrauliche Aussagen japanischer Delegationsmitglieder zu der Option einer eigenständigen japanischen Atombewaffnung in dem möglichen japanischen Streben nach dem Status einer „Supermacht“ erwähnte. Nachdem im Kontext der Havarie des Atomkraftwerks Fukushima I unmittelbar nach dem schweren Erdbeben im Osten Japans am 11. März 2011 auf einer japanologischen Mailingliste auf einen Artikel eines japanischen Politikwissenschaftler hingewiesen worden war, der diesen Sachverhalt kritisch beurteilte, war mein Interesse geweckt. Gerade eben konnte ich zu dieser Thematik einen Aufsatz veröffentlichen:
Sprotte, Maik Hendrik (2014): „Egon Bahr und sein Japan-Besuch 1969: Japanische Atomwaffen als ‚Frage des Willens, nicht des Könnens‘?“ In: Fakultät für Ostasienwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum (Hg.): Bochumer Jahrbuch zur Ostasienforschung (BJOAF). München: Iudicium, 36 / 2012, S. 213–247 ⇒ zum Volltext des Jahrbuchs.
Ich habe mein Publikationsverzeichnis entsprechend auf den neuesten Stand gebracht.
Wer unlängst das Hin und Her einer zunächst erdachten und dann zurückgezogenen Verordnung der Europäischen Kommission zum Verbot offener Olivenöl-Karaffen in Speiselokalen verfolgt hat, verfügt schon über einen Eindruck, mit welchen wichtigen Angelegenheiten sich manche zentralen Regierungs- und Verwaltungsstellen über die Terrorismusbekämpfung oder die Konzeption wirkungsvoller Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise hinaus zu befassen haben. Daher überrascht es wenig, wenn das japanische Kabinett am 24. Mai 2013 auf eine schriftliche Anfrage des Abgeordneten im Oberhaus Kagaya Ken 加賀谷健 von der Demokratischen Partei (minshutô 民主党) erklärte, „keine Kenntnisse“ von Geistererscheinungen (yûrei 幽霊) in der offiziellen Residenz des japanischen Ministerpräsidenten (sôri daijin kôtei 総理大臣公邸) zu haben. Selbst auf der Nachmittagspressekonferenz des Kabinettsekretärs (kanbô chôkan 官房長官) Suga Yoshihide 菅義偉 am 24.05. war diese Anfrage noch einmal Thema und beschäftigte dann in einer Kurzmeldung am Folgetag nahezu alle japanischen Tageszeitungen in ihren Online-Ausgaben. Auf die Frage eines Journalisten, ob er selbst schon die Anwesenheit von Geistern in der Residenz gespürt habe, hatte Suga schmunzelnd erklärt, dass er das nicht ausschließen könne („Iwarereba, sô ka na, to omoimashita“ 言われれば、そうかな、と思いました). Weiterlesen
Ein Aufsatz als gekürzter Nachdruck meines Arbeitspapieres zur Zivilgesellschaft vor 1945 ist in einer Publikation über die Bürger-Staat-Beziehungen in Japan erschienen:
Sprotte, Maik Hendrik (2013): „Zivilgesellschaft als staatliche Veranstaltung? Eine Spurensuche im Japan vor 1945.“ In: Foljanty-Jost, Gesine/ Hüstebeck, Momoyo (Hg.): Bürger und Staat in Japan. Halle/Saale: Universitätsverlag Halle-Wittenberg (= Schriften des Zentrums für Interdisziplinäre Regionalstudien, Band 3), S. 89—129. ⇒ zum Volltext dieser Publikation.
Ich habe die Inhaltsbeschreibung eines neuen Projekts, das mich neben meiner Arbeit an meinem Forschungsvorhaben in den letzten Monaten beschäftigt und dem ich unter dem Titel „Egon Bahrs Japan-Besuch 1969: ein Moment des japanischen ’nuclear hedging‘ “ nachgehe, der Aufstellung gegenwärtiger und zukünftiger Forschungsvorhaben hinzugefügt.
In der Arbeitspapierreihe des Internationalen Graduiertenkollegs „Formenwandel der Bürgergesellschaft. Japan und Deutschland im Vergleich“ (Universität Halle-Wittenberg und Universität Tôkyô) ist gerade ein längerer Text von mir erschienen, in dem ich mich unter dem Titel „Zivilgesellschaft als staatliche Veranstaltung? Eine Spurensuche im Japan vor 1945″ mit den historischen Wurzeln der japanischen Zivilgesellschaft auseinandersetze.
In meinem Diskussionsbeitrag trete ich für eine nachhaltigere Berücksichtigung historischer Prozesse in der sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung zu Japan ein. Es scheint zu kurz zu greifen, die Existenz einer japanischen Zivilgesellschaft mit den Argumenten einer im Japan der Zeit verbreiteten „Tradition des Respekts für die Autorität und der Geringschätzung des Volkes“ (kanson minpi 官尊民卑) und eines Prinzips „der Selbstaufopferung für das Gemeinwohl“ (messhi hôkô 滅私奉公) infrage zu stellen. Dies gilt auch dann, wenn man unter dem Gesichtspunkt einer Berücksichtigung der Unterstützung des zeitgenössischen Herrschaftssystems durch breite gesellschaftliche Schichten, die sich partiell in Organisationen zusammenfanden, die meiner Interpretation nach als zivilgesellschaftliche kategorisiert werden können, nur eingeschränkt zivilgesellschaftstheoretische Annahmen zur Staatferne und Gewaltfreiheit unter Berücksichtigung von Zeit und Raum in Anwendung bringen kann. Weiterlesen