Zehn Jahre seit jenem Tag – Erinnerungen an ein Erdbeben

Seit jenem Tag sei­en zehn Jah­re ver­gan­gen, sagen sie. Am 11. März 2011, einem in mei­ner viel­leicht trü­ge­ri­schen Erin­ne­rung son­ni­gen Tag, beb­te um 14:46 Uhr die Erde. Obwohl nur in der Peri­phe­rie, in Tôkyô, konn­te man sich nicht auf den Bei­nen halten.

Was­ser­tanks auf Haus­dä­chern bars­ten. Schei­ben eines alten Gebäu­des, viel­leicht einer Turn­hal­le, bra­chen. Nach­dem man sich erst zwi­schen zwei Hoch­schul­ge­bäu­den auf dem Komaba-Campus der Uni­ver­si­tät von Tôkyô auf­ge­hal­ten hat­te, such­te man doch wei­se Schutz auf der wei­te Flä­che eines Sport­plat­zes. Nach­be­ben! Mal stär­ker, mal schwä­cher. Über Tage wird man ler­nen, daß nach dem Beben vor dem nächs­ten ist.

Vor dem Zusam­men­bruch des Han­dy­net­zes wegen Über­las­tung konn­te man noch schnell an die Fami­lie eine Nach­richt abset­zen, daß „alles in Ord­nung“ sei. Ein Euphe­mis­mus. Eine Not­lü­ge. Viel­leicht weil man wohl ahn­te, daß nichts mehr in Ord­nung sein kann, nicht nach einem Beben die­ser Stär­ke. Trotz­dem war das nichts zu dem, was die­sen Moment im Nord­os­ten Japans geschah, und reicht doch für ein gan­zes Leben. Wie­der etwas Unbe­darft­heit, die wohl ver­lo­ren ging. Über 20.000 Tote und (noch immer) Ver­miss­te hin­ter­las­sen einen wohl zwangs­läu­fig sprachlos.

Das Ner­ven­kos­tüm ist eigen­tüm­lich kon­stru­iert. In einem gewis­sen Umfang schei­nen, indi­vi­du­ell natür­lich unter­schied­lich, offen­bar Mecha­nis­men des Selbst­schut­zes zu wir­ken. Viel­leicht war es daher gut, daß man das wirk­li­che Aus­maß des Ereig­nis­ses mit sei­ner unglaub­li­chen Opfer­zahl durch Beben & Flut­wel­le erst spä­ter, nach einem abend­li­chen Fuß­marsch in die Unter­kunft, erfass­te. Mit einer schnell kopier­ten Kar­te der „nähe­ren Umge­bung“ wur­de man auf den Heim­weg geschickt. Aus Sicher­heits­grün­den war der öffent­li­che Nah­ver­kehr noch Tage bis zu einer voll­stän­di­gen Kon­trol­le des Schie­nen­net­zes ein­ge­stellt. Ich erin­ne­re heu­te noch die Men­schen­schlan­gen, die sich zu Fuß von einem zum ande­ren Ende der Stadt durch­schlu­gen, zum Teil mit Schutz­hel­men aus­ge­stat­tet. Man­gels Strom und wegen andau­ern­der Nach­be­ben blie­ben Restau­rants aus Sicher­heits­grün­den natür­lich geschlos­sen. Allein klei­ne Super­märk­te hiel­ten dem Besu­cher­an­drang auf der Suche nach klei­nen Spei­sen und Geträn­ken trotz eines schon stark ver­min­der­ten Ange­bots stand. Das Hotel bot Gestran­de­ten, denen Heim­fahrt wegen der unter­bro­che­nen Zug­ver­bin­dun­gen nicht ange­tre­ten oder fort­ge­setzt wer­den konn­te, in der Lob­by Schutz.

Eine wei­te­re Lek­ti­on lern­te ich zudem: Eine Kern­schmel­ze ist selt­sa­mer­wei­se solan­ge belang­los, als Lam­pen über einem im vol­len Schwung sind. Aber auch nur solan­ge. Erst spä­ter wird sich der Begriff der Drei­fach­ka­ta­stro­phe – Erd­be­ben, Tsu­na­mi & Hava­rie des Atom­kraft­werks Fuku­shi­ma – in das natio­na­le Gedächt­nis nicht nur Japans ein­gra­ben. Für Alter­na­tiv­lo­ses fan­den sich schnell Alter­na­ti­ven. Das galt für die Atom­kraft wie für die vor­ge­zo­ge­ne Heimreise.

Auch heu­te noch ver­zei­he ich das unsäg­li­che Wort­spiel vom 外人 gai­jin, dem Aus­län­der, als フライ人 fly­jin, einer Wort­schöp­fung der Zeit für Flie­hen­der, nicht. Der vor­ge­zo­ge­ne Heim­flug blieb rich­tig, wenn auch ärger­lich, woll­te man nicht zu einer zusätz­li­chen Belas­tung wer­den. Ich bin dies­be­züg­lich mehr­heit­lich auf gro­ßes Ver­ständ­nis getrof­fen. Die weni­gen Freund­schaf­ten, in denen die­ser Vor­wurf erho­ben wur­de, hat­ten wohl nicht ver­dient, fort­zu­be­stehen. Auch japa­ni­sche Medi­en the­ma­ti­sier­ten dies. Man wird es wohl als Über­sprungs­hand­lun­gen in Kri­sen­zei­ten, bei denen man sich ein Ziel für Kri­tik sucht, um die eige­ne Unsi­cher­heit zu kom­pen­sie­ren, ver­bu­chen müssen.

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